Feminismus in der Techno-Szene: Wie Münchner Clubs etwas bewegen
von Anna Hentsch
Wenn ihr zu den ungefähr 6,6 Millionen Personen der deutschsprachigen Bevölkerung gehört, die laut Statista-Umfrage im Jahr 2022 sehr gern Techno hörten, kennt ihr diese Gefühle: Auf dem Floor ist man verbunden, alle tanzen friedlich miteinander und teilen Liebe. Feiern verbindet und Techno besonders. Man fühlt die Offenheit der Technokultur – in alle Richtungen. Schaut man aber genauer hin, ist die Szene manchmal gar nicht so gleichberechtigt, divers und LGBTQ+-freundlich, sondern ziemlich cis-männlich und weiß dominiert. Auch, wenn einige Frauen von Anfang an Mitveranstalterinnen und DJs waren, gibt es in der elektronischen Musik genauso wie überall eine gläserne Decke, die zu einer Unterrepräsentation von Frauen, LGBTQ+ und BPoC führt. In der aktuellen, dritten Welle des Feminismus gibt es deshalb immer mehr queerfeministische Kollektive, die sich für gleiche Rechte einsetzen – auch in der Musikbranche. Denn seit Jahrzehnten unterstützen sich Feminist*innen, Queer- und Black-Communities in ihrem Kampf für Gleichberechtigung.
Beweise für die Unterrepräsentation von Frauen liefert auf Datenbasis die female:pressure FACTS-Umfrage: Seit 2013 quantifiziert der Report die Geschlechterverteilung von Künstler*innen, die weltweit auf Festivals für elektronische Musik auftreten. Immerhin, von 2012 bis 2020/21 stieg der Anteil weiblicher Acts von 9,2 Prozent auf 26,9 Prozent. Für nicht-binäre Künstler*innen stieg der Anteil von 0,4 auf 1,3 Prozent zwischen 2017 und 2021. Der Report kommt zu dem Schluss, dass es zwar zu einem "langsamen, aber stetigen Anstieg weiblicher und nicht-binärer Acts bei Festivals für elektronische Musik" komme, jedoch auf den Bühnen "immer noch ein erhebliches Ungleichgewicht in der Geschlechterrepräsentation" bestehe. Woran liegt das und wie setzen sich insbesondere Münchner*innen und deren Projekte ein, um etwas zu bewegen? Wir haben mit Akteur*innen der Münchner Techno-Szene gesprochen:
Queerfeministisches Engagement im Harry Klein
Ein wichtiger Teil der Verantwortung hin zu mehr Gleichberechtigung und Diversität liegt bei den Booker*innen der Clubs. Alicia Fricke ist selbst DJ und die erste Bookerin Münchens in einem elektronischen Club – dem Harry Klein. Sie findet es wichtig, "nicht nur Diversität hinter dem DJ-Pult zu fördern, sondern auch in allen anderen Berufen und Tätigkeiten rund um die Clubkultur". Ihr seien als Bookerin faire Gagen und paritätische Geschlechterverteilung sehr wichtig. Im Harry Klein arbeite man deshalb schon seit zwei Jahren mit einem 50:50-Booking. Für mehr Diversität engagiert sich Alicia im queerfeministischen WUT Kollektiv und fördert aktiv FLINTA*-Nachwuchs in München. Sie gibt regelmäßig DJ-Workshops, organisiert DJ-Events mit Newcomerinnen und hostet mit ihren Kollektiv-Kolleginnen einen monatlichen DJ-Proberaum im Harry Klein, wo Anfängerinnen ungestört mit Club-Equipment üben können. Wie in anderen Kollektiven gehe es laut Alicia um gegenseitigen Support, Austausch und die Organisation gemeinsamer Events.
Ich wünsche mir, dass wir irgendwann nicht mehr über Quoten sprechen müssen. In der elektronischen Clubkultur ist genug Platz für alle!Alicia Fricke
Einen weiteren wichtigen Beitrag für Gleichberechtigung und Diversität leisten queere Veranstaltungen wie "Garry Klein" und "Perras" im Harry Klein. Speziell bei BPoC sieht Alicia noch Nachholbedarf, auch wenn sich bei den DJ-Workshops die Teilnehmer*innen häufen würden. Dasselbe gelte für non-binary Personen. "Ich wünsche mir, dass wir irgendwann nicht mehr über Quoten sprechen müssen. In der elektronischen Clubkultur ist genug Platz für alle!"
Diversität und Inklusion im Blitz Club
Neben dem Harry Klein gehört der im Jahr 2016 eröffnete Blitz Club zu den international bekannten Clubs. Die Betreiber*innen sind Crew-Mitglieder der (ehemaligen) Clubs Bob Beaman, Charlie, Die Registratur, King und Kong Club – alles Namen, die sich in die Herzen der Techno-Follower gebrannt haben. Der Mitbegründer, Resident-DJ und Booker des Blitz Club, David Muallem, sagte im Groove Magazin, dass "der Club ein Ort der Inklusion sein soll, in einer Stadt, in deren Nachtleben es sonst meist um Exklusivität geht". Von Anfang an veranstaltet das Team um (Mit-)Besitzerin Sandra Forster die Queer-Partys "Cruise" und "Playground", bei denen es in erster Linie darum geht, die Community zusammen zu bringen und die Vielfalt zu feiern. Beim Line-up achtet der Blitz Club besonders auf Diversität und Parität der Geschlechter.
Female DJs in einer männerdominierten Branche
Oft werden jedoch noch Unterschiede zwischen internationalen und lokalen Bookings gemacht. Davon berichtet Alma, die Resident-DJ im Pacha und Harry Klein ist: "Auf dem weltweiten, kommerziellen DJ-Markt gibt es zwar immer noch mehr männliche DJs und männerdominierte Line-ups, aber als Frau wirst du, wenn deine Follower und Reichweite stimmen, genauso oft gebucht wie als Mann." Lokal sei es nach wie vor häufig so, dass Männer sich als Connecter und Veranstalter gegenseitig buchen. Außerdem würden die zahlenmäßig überlegenen männlichen DJs ihre Connections besser nutzen. Gerade deshalb seien Veranstaltungen wie das "Marry Klein" vom Harry Klein so wichtig. Ein Clubfestival für mehr Diversität im Nachtleben, das vor allem weiblichen DJs mehr Sichtbarkeit verschafft. "Solche Veranstaltungen geben weiblichen DJs eine Plattform, auf der sie sich trauen, in einem oft immer noch männlichen Business zu agieren. Sie nehmen Ängste und bringen zusammen. Man lernt, sich gegenseitig zu stärken und aufeinander aufmerksam zu machen." Das habe Wirkung gezeigt: Von Jahr zu Jahr seien die Teilnehmerinnenzahlen und auch die Range an weiblichen DJs gestiegen.
Musik von FLINTA*-DJs im Goldenen Reiter
Im Goldenen Reiter will man ebenfalls über Veranstaltungen wie "her*decks" und über das Booking mehr Sichtbarkeit für Frauen schaffen. Jens Milkowski und das Team vom Goldenen Reiter haben sich zum Ziel gesetzt, 50 Prozent Frauen zu buchen. "Das klappt aktuell noch nicht jeden Abend, aber wir arbeiten daran. Im Durchschnitt kommen wir derzeit auf 30-40 Prozent im Monat." Vor allem sei es wichtig, dadurch FLINTA*-Personen Vorbilder zu geben, denn ohne fehle womöglich der Anreiz, selbst aufzulegen. "Speziell 'her*decks' ist eine sehr wichtige Initiative – denn, was man auf den ersten Blick nicht sieht: Es geht nicht nur um FLINTA*-DJs, sondern auch um Musik, die von FLINTA* geschrieben, produziert und/oder interpretiert ist.“
Jeder Club sollte sich eine Quote setzen, männliche DJs sollten darauf pochen, dass auch Frauen am selben Abend auflegen.Jens Milkowski
Damit sich in Sachen Gleichberechtigung in Zukunft etwas ändert, plädiert Jens für einen radikalen Ansatz: "Mit der Freiwilligkeit, vermeintlichen Offenheit und Schau-ma-mal-Attitüde sind wir nicht wirklich weit gekommen. Jeder Club sollte sich eine Quote setzen." Männliche DJs sollten darauf pochen, dass auch Frauen am selben Abend auflegen. Clubs sollten es sich zur Aufgabe machen, in der Szene mehr Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen. Plus: "Aktuell reden wir hier nur von einer Gleichberechtigung zwischen weiblichen und männlichen DJs – echte Gleichberechtigung kann man nur erreichen, wenn man LGBTQ+, BIPOC und andere unterrepräsentierte Personen einbezieht. Es liegt ein langer Weg vor uns!".