100 Jahre Zauberberg: Ein Blick hinter die Kulissen des Volkstheaters
Zuerst "Buddenbrooks" im Resi, jetzt "Der Zauberberg" im Volkstheater. Es ist das Jahr Thomas Manns in München, der vor hundert Jahren, also 1924, sein wohl bekanntestes Werk "Der Zauberberg" geschrieben hat. Mit einer einzigartigen Inszenierung feiert das Münchner Volkstheater dieses Jubiläum ganze vier Stunden lang. Dabei düsen die Schauspieler*innen auf Rollern umher und sogar ein Schneesturm kommt auf – mit täuschend echtem Schnee. Und dann gibt es noch eine musikalische One-Man-Schlagzeug-Show. Wir durften bei der Probe mal einen Blick hinter die Kulissen werfen, wo wir spannende Dinge erlebt haben.
GANZ NORMALER PROBEN-WAHNSINN
Auf welche Seite soll das Headset-Mikrofon hin? Und wie hält es jeder noch so raschen Bewegung stand? Schauspieler Lorenz Hochhuth wählt dafür die rechte Wange, den Kleber mit etwas Alkohol befeuchtet. Gleich beginnt die Hauptprobe. Alles ist genau getaktet, exakt 15 Minuten hat der Schauspieler in der Maske, danach geht's einen langen Flur entlang auf die Bühne. In nur zwei Tagen findet die Premiere statt. "Und es wird noch viel passieren in dieser kurzen Zeit", sagt Lorenz. Er schlüpft in die Rolle des Concierge.
Während in der Maske die Schauspieler*innen noch geschminkt werden, sitzen schon die Techniker*innen vor Hunderten von Knöpfen im Zuschauerraum. Auch Schauspielkolleg*innen haben Platz genommen und die Regie macht sich ihre finalen Notizen. Vorfreude und Anspannung fliegen durch die Luft und mittendrin ein Kameramann, der gleich den Bewegungen der Schauspieler*innen folgen wird. Dann geht es los und wir werden auf Hans Castorps Reise auf den Zauberberg mitgenommen. Während der Probe läuft die Regisseurin noch oft auf der Bühne hin und her, um jede Lichteinstellung und jede Position der Spieler*innen zu beurteilen. Final steht bei der Hauptprobe noch lange nichts.
Ich geh auf jeden Fall immer bevor das Stück losgeht einmal über die Bühne. Was ganz komisch ist sozusagen nicht einmal in dem Raum gewesen zu sein, bevor das Stück anfängt.Lorenz Hochhuth
AUS DREI WOCHEN WURDEN SIEBEN JAHRE
Hans Castorp, ein junger und gesunder Mann, besucht seinen Vetter in einem Lungensanatorium in den Schweizer Alpen. Drei Wochen will er dort bleiben, doch es werden sieben Jahre. Schneller merkt er: Dieser Ort ist kein gewöhnliches Krankenhaus. Die ihm anfangs noch recht befremdlich wirkenden Patient*innen verzaubern ihn immer mehr und schließlich erkrankt auch er. Krank vor Liebe, weil er sich in eine Patientin verknallt und krank vor Angst, wieder in die reale Welt zurückzukehren zu müssen.
Eine Angst, die alle Insass*innen dort verbindet und so zeitgemäß wie zu 1924, denn den aktuellen Ereignissen auf der Welt würden wir auch gerne entkommen. Ja, vier Stunden im mehr oder weniger dunklen Theater zu sitzen hört sich erstmal lang an, aber so kann man mit Hans mitfühlen, schließlich war er sieben Jahre am Zauberberg gesessen.
PREMIERE FÜR DIE DOPPELTE BÜHNE
Für den 100. Geburtstag des Romans benutzt Regisseurin Claudia Bossard den kompletten Raum, also Vor- und Hinterbühne. Das gab es im Volkstheater noch nie. Auf der riesigen Fläche sitzt die gesamte Zeit über ein Künstler und sorgt für musikalische Untermalung. Neben seinem Schlagzeug bedient er auch noch einen Synthesizer – zuerst im Hintergrund, dann mitten auf der Bühne. Um ihn herum wird wild getanzt, gesungen und am Ende sogar über eine Slackline balanciert. Das alles passiert teilweise sogar parallel. Während sich zwei am Frühstückstisch streiten, sitzt Hans Castorp schon bei seiner Untersuchung. Es ist laut und unruhig, alles spielt sich gleichzeitig ab. Bei so viel Action geht schnell auch mal was schief. Im Theater ist man sehr abergläubisch und deshalb MUSS der ein oder andere Patzer bei einer Generalprobe passieren.
Wenn alles gut läuft, ist es ganz schrecklich, weil man dann immer probiert zu reproduzieren. Und dann wird die Premiere nicht gut. Da darf wirklich alles drunter und drüber gehen.Lorenz Hochhuth
Ungefähr Tausend Seiten dick ist der Roman. Eine Menge Text für die Schauspieler*innen, die teilweise minutenlange Monologe sprechen. Patzer passieren also schnell. Daher sitzt bei jeder Probe und dann auch bei jeder Vorstellung ein sogenannter Souffleur oder eine Souffleuse in der ersten Reihe, um den vergessenen Text per Mikro einzusagen. Ab und an kam sie bei der Probe auch zum Einsatz – bei der Premiere übrigens nicht – Respekt! Die Schauspieler*innen lassen sich nicht aus dem Konzept bringen, scheint es. Mit einer bemerkenswerten Gelassenheit spielen sie einfach weiter.
Mit leuchteten Augen verrät uns Lorenz, sein Lieblingsmoment sei der Schluss. "Da fährt das Stück nochmal richtig hoch." Ein großes Ringlicht sinkt auf die Bühne und hüllt die Bühne in Rauch und warmes Licht, während die Schauspieler*innen ihre letzten Kräfte für das packende Finale sammeln. Es wird musikalisch, blutig und emotional. Es lohnt sich also, sich auf die vollen vier Stunden einzulassen.