Ganz der Baba #6: Sandesser sind die besseren Menschen
Sam und seine Frau haben nicht nur einen neuen winzigen Mitbewohner namens Teddy, sondern er auch einen neuen Job. Sam ist jetzt Papa – in Vollzeit. In dieser Kolumne nimmt er euch mit auf die Baustelle Baby. Warum freut man sich auf jemanden, den man noch gar nicht kennt? Was geht eigentlich bei den Münchner Mamas und was haben Air Jordans mit Feminismus zu tun? Immer mit dabei: die hilfreichen und manchmal fragwürdigen Lebensweisheiten seiner ägyptischen Mama. Folge Sechs:
„Haste ein Kind, gehste auf den Spielplatz.“ Ganz klar eine undifferenzierte Fehleinschätzung eines Anfängers. Teddy musste einige Male bäuchlings im Sandkasten rumliegen wie eine atmende Handtasche bis ich kapiert habe, dass drei Monate alte Babys doch nicht ganz die Zielgruppe Spielplatz sind. Die einzige Beschäftigung beim zu frühen Spielplatzstart: Akribisch darauf achten, dass in Teddys näheren Umgebung keine Kippen im Sand liegen. Seitdem bin ich der festen Überzeugung, dass es einen eigenen Ort in der Hölle für Menschen geben muss, die ihre Zigaretten auf einem Kinderspielplatz in den Sand werfen.
Beim Spielplatzbesuch lässt dich die Bevölkerung grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilen: Sandesser und Nicht-Sandesser.
Beim Spielplatzbesuch lässt dich die Bevölkerung grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilen: Sandesser und Nicht-Sandesser. Das mag völlig banal klingen, jedoch habe ich festgestellt, dass man an diesem klitzekleinen und völlig bescheuerten Indiz einen ganzen Erziehungsstil festmachen kann. Auf jedem Spielplatz der Stadt wird man immer mindestens eine Mutter oder einen Vater rufen hören:
„Nein Linus, das ist Sand, den essen wir nicht. LINUS! NEIN! LINUS! Sand! BÄH! LIIIIIINUUUUUS!“
Dabei ist Linus halt einfach zwölf Monate alt und steckt sich restlos alles in den Mund, was ihm in die Quere kommt. Gleichzeitig straft er dich als Elternteil mit Unverständnis, egal wie schrill du auf ihn einquatschst.
Also gibt es für uns genau eine Regel: Tu niemandem weh. Zumindest nicht mit Absicht.
Es stellt sich also die Frage ob sich der energetische Aufwand lohnt. Man merkt vielleicht, dass unsere kleine Familie klar Team Sandesser ist. Überhaupt hört man ständig Eltern irgendwelche Maßregelungen durch die Gegend schreien, deren Sinn sich mir noch nicht erschlossen haben:
„ Cherubim! Zieh die Schuhe aus, bevor du rutschen gehst! Auf dem Gras ziehst du sie wieder an!“
„Lia! Nicht mit der Schaufel auf die Wippe!“
„Anton! Nicht rückwärts rutschen!“
Ganz schön viele Regeln für so einen Spielplatz. Dabei bin ich selbst ja eher der Typ, der zu jeder Tages- und Nachtzeit an der roten Ampel stehen bleibt und keine Weißwurst nach 12 Uhr isst, aber es ist doch ehrlich gesagt ganz geil, dass Teddy auf dem Spielplatz einfach frei von Regeln ausprobieren kann, was er mit seinem kleinen Körperchen denn schon so drauf hat. Also gibt es für uns genau eine Regel: Tu niemandem weh. Zumindest nicht mit Absicht.
Ich bleibe aber gefasst, denn die gute Frau – nennen wir sie mal die Fürstin der Filzternis – ist noch nicht fertig
Spielplätze sind eine wunderbare Teststrecke der Gesellschaft. Man kann unter realen Bedingungen herausfinden, ob sein kleines Projekt Kind gut läuft oder nicht. Und man kann herrlich beobachten, wo man so steht: Teddy versucht also fest entschlossen die Rutschbahn hinauf zu klettern und irgendwann bei Anlauf 38 kommt eine Mutter auf mich zu:
„Ihr Kind benutzt die Rutsche falsch, das ist kein Klettergerüst.“
Ich bin kurz davor, ein mimisches Fass auf zu machen und in Luis-de-Funes-Manier sehr überrascht zu tun über die Information, dass eine Rutsche kein Klettergerüst sei. Ich bleibe aber gefasst, denn die gute Frau – nennen wir sie mal die Fürstin der Filzternis – ist noch nicht fertig:
„Andere Kinder könnten irritiert sein und ebenfalls versuchen, die Rutsche hinauf zu klettern und mein Jonathan soll das nicht machen.“
Ich warte immer noch auf den Moment, in dem sich ihr besorgter Gesichtsausdruck auflöst und klar wird, dass mich die Thaihose verarschen will.
Ich warte immer noch auf den Moment, in dem sich ihr besorgter Gesichtsausdruck auflöst und klar wird, dass mich die Thaihose verarschen will. Ich gehe kurz in mich und stelle mir die Frage, ob ich die Programmhefte der zur EU Wahl aufgestellten Parteien genauer nach Spielplatzregelungen hätte durchforsten sollen.
Das Konzept Spielplatz dreht sich doch um ausprobieren, toben, springen, streiten, lachen und nicht um Regeln...oder? Für einen Moment zweifle ich sogar an meiner Haltung und frage mich ob es okay ist, dass Teddy hier einfach so die Spielgeräte für seinen Unfug missbraucht. Gedanklich schüttle ich mich kurz:
„Ich dachte immer die einzige Regel wäre, dass man keinem wehtun darf?“
Ich stelle mich blöd. Lege so viel Unschuld wie möglich in meine Stimme und hey: Das scheint irgendwie geklappt zu haben, denn die gute Frau lässt von mir ab. Ich will noch einen drauf setzen, eine Art Stolz über meine rhetorischen Fähigkeiten aufkommen lassen und den Moment des Erfolgs noch ein bisschen auskosten, doch da ist die Mutter schon wieder auf der nächsten Mission unterwegs: Sie ist nämlich Team "Nicht-Sandesser" – der kleine Jonathan aber wohl schon.
Teddy ist in der Zwischenzeit bei Anlauf 54 angelangt und hat es tatsächlich geschafft, die Rutschbahn hochzulaufen. Hat er seitdem übrigens seit dem nie wieder gemacht. Er hat wohl gecheckt, dass das Rutschen an sich geiler ist. Rückwärts, versteht sich.