Ganz der Baba #13: Würstchen und Kartoffelbrei für den Weltfrieden
Wenn Eltern mit großen Augen vom ersten Weihnachten ihrer kleinen Frida oder ihres kleinen Anthons erzählen und stolz verkünden. dass sie extra ein handbemaltes Krippenspiel aus nachhaltigem Holz besorgt und eine Adventskranz aus heimischen Heilkräutern geflochten haben, um ihrem Kind eine wundervolle Weihnachtstradition zu bieten, frage ich mich drei Dinge:
- Wissen die überhaupt, was eine Tradition ist?
- Was haben die vorher gemacht?
- Warum ist da ein TH in Anthon und warum wird mir der Junge als Anthon mit TH vorgestellt, als würde ich ihm eine Brief schreiben wollen oder als sei ein Rechtschreibfehler im Namen so etwas wie ein Doktortitel?
Teddy war an seinem ersten Weihnachten – übrigens spricht man das Wort „erste“ und sämtliche verwandten Formen unter Eltern ungefähr so aus: „eeeeehrste“ – gerade mal acht Tage alt und er hat mir immer das Gefühl gegeben, dass es ihm egaler nicht hätte sein können.
Bei uns wurde an Weihnachten eine detailgetreue Kopie einer weihnachtlichen Kulisse eines beliebigen Hollywoodfilms aufgebaut.
Auf dem Hof meiner niederbayerischen Schwiegereltern wird sehr anders Weihnachten gefeiert als in dem ägyptischen Migrantenhaushalt, in dem ich groß geworden bin. Da man in Kairo wenig bis keine Chancen auf das aufbauen heftiger Weihnachtsskills hatte, aber den Kindern zuliebe trotzdem dieses Weihnachten irgendwie bieten wollte, wurde bei uns eine detailgetreue Kopie einer weihnachtlichen Kulisse eines beliebigen Hollywoodfilms gebaut.
Wir hatten einen gleichschenkligen Weihnachtsbaum, der mit roten und goldenen Kugeln geschmückt war und an dessen Fuße die Geschenke farblich passend in perfekt rechteckigen Schachteln drapiert waren. Wir mussten auch alle Pyjamas anziehen und der damalige Freund meiner Schwester wurde gezwungen, den Weihnachtsmann zu spielen. Dann gab es ein Essen, für das meine Mutter etwa sechs Tage in der Küche verbracht hatte und so aussah, als würde Alfons Schuhbeck einen 70er Jahre Weihnachtsfoodporn drehen.
Ich hatte in meinem Leben noch keinen Punsch getrunken, aber so langsam zog mir der Punschdusel eine sehr bequeme Jogginghose übers Hirn.
An meinem ersten Weihnachten auf dem schwiegerelterlichen Hof habe ich mich bereits bei der Anfahrt über die fehlende Außenbeleuchtung gewundert. Keine Rentierfiguren, keine Lichtanimationen, nichts. Die Küche war kalt und das einzige, was es gab, waren wunderschön angerichtete Plätzchen. Meine Frau wurde gleich von ihrer traditionellen Aufgabe verhaftet, den Punsch zu machen. Ich hatte in meinem Leben noch keinen Punsch getrunken, aber die wahnsinnig guten Kokosmakronen meiner Schwiegermama machten sehr durstig. Notiz an mich selbst: Punsch löscht nicht den Durst, sondern knallt wie die erste Frischluft nach der dritten Maß.
Immer noch irritiert vom eher minimalistischen Design dieses Weihnachtsabends zog mir der Punschdusel so langsam aber sicher eine sehr bequeme Jogginghose übers Hirn. Insgesamt passierte nicht viel. Die Schwiegereltern machten sich langsam auf Richtung Kirche und meine Frau bekam die Aufgabe, doch bitte schon mal das Abendessen herzurichten.
Allein die Tatsache, dass bei einer völlig regulären Einladung in Ägypten eine Ente als Beilage zur Lammschulter gereicht wird, lässt einen nur ungefähr erahnen, was bei uns los ist, wenn es etwas zu feiern gibt.
Moment mal, das Abendessen herrichten? Es war nach 16.30 Uhr und ich sah weit und breit nichts, was irgendwie nach Abendessen aussah. Würde es erst in sechs Tagen was zu Essen geben? Ich fand heraus, dass Würstchen und Kartoffelbrei auf dem Speiseplan standen und fing an, dieses herrlich entspannte Weihnachten buchstäblich zu feiern.
Ich möchte meiner wunderbar lauten und übertriebenen ägyptischen Herkunft hier nicht in den Rücken fallen. Allein die Tatsache, dass bei einer völlig regulären Einladung in Ägypten eine Ente als Beilage zur Lammschulter gereicht wird, lässt einen nur ungefähr erahnen, was bei uns los ist, wenn es etwas zu feiern gibt. Oder dir jemand gesagt hat, dass es etwas zu feiern gibt.
Meine Eltern haben uns alljährlich mit simulierten Stromausfällen oder vorgetäuschten Bränden abgelenkt, während meine ältere Schwester Fußstapfen in den Schnee machte.
Zurück nach Niederbayern. Aus der Kirche zurück klingelte die Schwiegermutter plötzlich mit einer kleinen Glocke. Das Christkind war da! Und ich so: That's it? Ein bisschen mit der Glocke klimpern und fertig? Mehr Illusion ist da nicht drin?
Meine Eltern haben uns alljährlich mit simulierten Stromausfällen oder vorgetäuschten Bränden abgelenkt, während meine ältere Schwester Fußstapfen in den Schnee machte. Derweil wurde ihr christlicher Freund – dessen Outfit offensichtlich dem Weihnachtsmann aus der Cola Werbung nachempfunden war – aus der Garage gelockt um zusätzlich zu den Geschenken unterm Baum noch mehr Päckchen anzuschleppen.
Aufgrund der Tatsache, dass Weihnachten bei uns schwere Tendenzen einer Disney-Parade hatte, war ich stets der Meinung, ein echter Heiligabend-Profi zu sein. Zumindest bis ich bei Würstchen und Kartoffelbrei in Niederbayern saß.
Aufgrund der Tatsache, dass Weihnachten bei uns schwere Tendenzen einer Disney-Parade hatte, war ich stets der Meinung, ein echter Heiligabend-Profi zu sein. Zumindest bis ich bei Würstchen und Kartoffelbrei in Niederbayern saß.
Aber sei es drum. Am wichtigsten ist doch, dass Teddy Traditionen genau so mitbekommt, wie sie vorher schon lange gepflegt wurden. Und zwar ohne, dass sie irgendwie perfekter, instagrammiger oder biologisch abbaubar werden. Und so feiern wir Weihnachten eben auf einem alten Hof im tiefsten Niederbayern, wo wir seit drei Jahren versuchen, eine neue Tradition einzuführen: "Kevin allein zu Hause" anstatt des unerträglichen Weihnachtsprogramms im BR. Denn dabei fühle ich mich gleich doppelt zu Hause.
Achja: An Bayram aka Zuckerfest lassen wir es dann in allen Farben des Regenbogens krachen und ich mache es wie meine Mama und verstecke die Geschenke einfach im Essen!