Das München-ABC: J wie Johannis Café
München ist wahnsinnig schön – und manchmal auch ein bisschen langweilig, spießig und streng. Zu sauber und zu geregelt. Wenn dir auch jedes Mal auf der Isar-Brücke die Knie weich werden und dich aber nichts mehr aufregt als unsere Öffnungszeiten, Tanzverbote und Mutlosigkeit, dann bist du hier genau richtig. In unserem ABC schreiben wir auf, was wir an dieser Stadt unendlich gut, aber auch ziemlich beschissen finden. Diesmal: Eine Institution in Haidhausen, das Johannis Café.
Urkundlich erwähnt wurde Haidhausen erstmals im Jahre 808. Genau 1116 Jahre später, im Jahr 1924, eröffnete im mittlerweile eingemeindeten Münchner Stadtteil eine gastronomische Institution: Das Johannis Café. Während in vielen Münchner Vierteln die Lokale kommen und gehen, ist das Johannis Café der Fels in der Brandung.
Ein Fels, an dem seit locker 60 Jahren jegliche Einrichtungstrends und kulinarische Modeerscheinungen abprallen. An der Wand die Fototapete vom Matterhorn, auf der Karte der Toast Hawaii. Anachronismus in seiner Reinstform. Genau das scheint das Erfolgsrezept zu sein – abgesehen davon, dass man auch noch zu unchristlichen Uhrzeiten, etwas warmes zu Essen bekommt. Ein Herz für Schinkennudeln.
An der Wand die Fototapete vom Matterhorn, auf der Karte der Toast Hawaii.
Es ist doch so, dass man immer wieder gerne Trends hinterherläuft, sie auskostet, sie genießt, sie zum Alltag werden lässt – oder zumindest so tut, als wäre der tägliche Matcha Latte ganz normal – und irgendwann lässt man sie fallen wie eine heiße Kartoffel, weil etwas anderes den Platz einnimmt. Und, wenn gerade nichts neues Neues da ist, um diese Trendlücke zu füllen, sucht man sich etwas altes Neues und macht etwas zu einem Trend, das eigentlich seit Jahrzehnten nichts mehr damit zu tun haben wollte.
Klartext: Wenn man davon gelangweilt ist, unter Kohlefadenlampen Bowls zu löffeln und seine aus Mems und viralen Internetphänomenen zusammengeschusterte „Meinung“ kundzutun, geht man in – hier Boazn deiner Wahl einfügen – und genießt dieses „ganz besondere Flair“ – #oldschool. Danach liest man auf Tripadvisor, wie toll sich das Publikum in der jeweiligen Boazn mischt und auf Instagram wird besagter Toast Hawaii zu Tode gefiltert bis er sich zurück in die 50er Jahre wünscht, wo er herkommt.
Wie gut, dass jede Boazn – und so auch das Johannis Café – in der Regel von einem allmächtigen Herrscher oder wie in München in erstaunlich vielen Fällen von einer Herrscherin geführt wird. Diese sorgen in ihren Lokalen für das richtige Maß an Benehmen und vor allem dafür, dass es ein Ort der Kontinuität bleibt. Stets unbeeindruckt von den Banalitäten der Zeitgeschichte. Da können draußen die apokalyptischen Reiter einen Eiertanz aufführen oder ein Rudel Pelzkrägen auf der Suche nach Abwechslung vom eintönigen Leben in der Hochglanz-Filterblase ihre E-Zigaretten paffen. Ein echter Boazn-Wirt zapft Weißbier bis zum Ende. Komme was – oder wer – wolle.
Wenn man davon gelangweilt ist, unter Kohlefadenlampen Bowls zu löffeln, geht man ins Johannis Café.
Olaf aus dem Johannis Café ist das Paradebeispiel eines wahren Boazn-Kapitäns. Irgendwie freundlich, irgendwie auch nicht. Seit 1991 führt er den Laden, in dem er zuvor schon als Kellner gearbeitet hatte. Das Ölgemälde an der Wand, das ihn im Gewand eines Herrschers aus dem 18. Jahrhundert zeigt, bekam er einst von einem Gast, der damit seine Zeche zahlte. Die Inschrift: „Quod licet Olaf, non licet bovi.“ – „Was Olaf erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.“ Das Ganze in Anlehnung an einen lateinischen Spruch, der den Unterschied zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten darstellt. Keine Frage, wer hier das Sagen hat.
Und so bestimmt Olaf, dass sich bis heute nichts an der Einrichtung ändert und Trends weiterhin abprallen am Fels des Johannis Cafés. Außer Burger. Wobei, den gibt es ja angeblich auch schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. So viel zum Thema neue, alte Trends. So oder so, einen wahren Boazn-Herrscher kann so schnell nichts schocken. Denn keiner weiß so gut wie sie, dass Dinge kommen und Dinge gehen, vor allem Trends. Das Einzige, was bleibt: Fototapeten, Weißbier und Toast Hawaii.