Das München-ABC: N wie Nebenjob
München ist wahnsinnig schön – und manchmal auch ein bisschen langweilig, spießig und streng. Zu sauber und zu geregelt. Wenn dir auch jedes Mal auf der Isar-Brücke die Knie weich werden und dich aber nichts mehr aufregt als unsere Öffnungszeiten, Tanzverbote und Mutlosigkeit, dann bist du hier genau richtig. In unserem ABC schreiben wir auf, was wir an dieser Stadt unendlich gut, aber auch ziemlich beschissen finden. Diesmal: Die Sache mit dem Nebenjob.
Zu Studienzeiten ist es ja das Normalste auf der Welt, dass man sich irgendwie mit irgendwelchen Jobs über Wasser hält. Der Bafög-Höchstsatz langt in München auch nicht, wenn täglich Nudeln mit Ketchup auf dem Speiseplan stehen. Als Kellner, Promoter, Fahrradkurier oder von mir aus auch als Escort oder in einem überdimensionierten Snoopy-Kostüm, in dem man Luftballons an kleine Kinder verteilt. Man macht eben alles, was den Lebenslauf so aufmotzt. Nicht.
Die Welt der Nebenjobs ist ein berufliches Paralleluniversum, in dem man Geld für die absurdesten Tätigkeiten bekommt. Als ich noch studiert habe, habe ich mir irgendwann einen Spaß daraus gemacht, möglichst irre Nebenjobs anzunehmen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem man es mysteriöserweise doch in dieses "echte" Berufsleben schafft. Also so mit Rentenversicherung, Sozialabgaben und Bewirtungsbelegen.
Beim Eintritt in dieses echte Berufsleben verlässt man nicht zwangsweise das Paralleluniversum Nebenjob. Zumindest nicht, wenn man in einer der teuersten Städte Deutschlands lebt.
Plötzlich bleibt man bei der Frage "Und was machst du so?" von spontanen Schweißausbrüchen verschont, weil man (juhu!) eine gesellschaftlich kompatible Antwort parat hat. Endlich ist man Smalltalk-tauglich. Man hat nicht mehr nur eine Reihe undefinierbarer "Jobs", sondern einen richtigen Beruf. Wie viel davon dann wirklich Berufung ist, ist dann aber ein ganz anderes Thema.
Also so habe ich mir das zumindest gedacht. Bis ich drauf gekommen bin, dass man mit dem Eintritt in eben dieses "echte" Berufsleben das Paralleluniversum "Nebenjob" nicht zwangsweise verlässt. Zumindest nicht, wenn man in einer der teuersten Städte Deutschlands lebt – jedenfalls in Sachen Mieten, Monatskarten und Mixgetränke.
Spontan fallen mir wirklich viele Freunde und Bekannte ein (inklusive mir), die neben ihrer Haupttätigkeit, noch irgendetwas anderes machen, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Und dabei sind nicht nur Praktikanten, Volontäre, Lehrlinge oder andere Angestellte im Niedriglohnsektor gemeint, die mit winzigen Gehältern abgespeist werden und deswegen darauf angewiesen sind. Da gibt es auch viele Vollzeitbeschäftigte, die sich ein Zubrot verdienen wollen oder auch müssen.
Während in Berlin die Leute nebenbei also "Projekte" machen, trage ich nebenbei Teller durch ein Restaurant. Das ist mein Projekt. Sozusagen meine Work-Work-Balance.
Für alle, die jetzt schon die Faust gen Himmel recken, und Demo-Schilder basteln: Das hier ist keine Streitschrift gegen soziale Ungerechtigkeiten und die scheinbar unüberwindbare Kluft zwischen Arm und Reich. Ich wundere mich einfach nur. Verlässliche Zahlen dazu, wie viele Menschen vor allem in München einer zusätzlichen Nebentätigkeit nachgehen, konnte ich leider keine finden. Da gab es nur deutschlandweite Statistiken, aber ich wage zu behaupten, dass der Anteil in München gar nicht so gering ist.
Ob das jetzt gut oder schlecht oder unfair oder wasauchimmer ist, kann ich auch nicht so genau sagen. Was ich aber sagen kann: Ich mache meinen Nebenjob überraschend gerne. Er ist nicht nur Mittel zum Zweck, aber natürlich würde ich nach einem langen Bürotag nicht noch fünf Stunden Teller durch die Gegend tragen, wenn da nicht noch ein paar Scheinchen in meinen Taschen landen würden. Aber so wirklich gezwungen bin ich auch nicht.
Ich genieße die Abwechslung sogar. Mir doch egal, ob dann meine Freizeit eingeschränkt ist, in der ich mich angeblich für die Arbeit von der Arbeit erholen muss. Wer schon mal in einem Restaurant gearbeitet hat, in dem ihm sowohl das Essen schmeckt, die Kollegen lässig und die Gäste gar nicht mal so scheiße sind, der weiß, was ich meine. Das kann richtig Spaß machen. Außerdem gibt's gratis Drinks und gratis Workout. Alles cool, so lange es eben ein Nebenjob bleibt.
Außerdem ist so ein Nebenjob doch perfekt für uns als Generation, die sich nicht festlegen will. Während in Berlin die Leute nebenbei also "Projekte" machen, trage ich nebenbei Teller durch ein Restaurant. Das ist mein Projekt. Sozusagen meine Work-Work-Balance.