Münchner Originale #4: Charlotte aus dem Ungewitter
Sie gehören zum Stadtbild wie die Frauenkirche, das Siegestor oder der Olympiaturm. Egal wie sehr sich die Stadt verändert, sie sorgen dafür, dass München authentisch bleibt. Menschen, die die Seele der Stadt verkörpern. Was wäre München ohne seine Originale? Wir haben uns auf den Weg gemacht, um mehr über sie und ihre – unsere – Stadt herauszufinden. Folge Vier: Boazn-Wirtin Charlotte aus dem Ungewitter.
„Servus, Spatzl. Was magst’n trinken?“ Es ist kurz nach 20 Uhr, Charlotte hat eben erst aufgesperrt, aber am Tresen sitzen schon die ersten Gäste. Das sind wohl die berühmten „dewodooiweihocka“, also diejenigen, die immer da sitzen – oder zumindest ziemlich oft. Die gibt es in jeder richtigen Boazn, und das ist auch gut so. Charlotte zapft in ihrem Ungewitter seit bald 21 Jahren. Jeder Handgriff sitzt, die Frau ist Vollblut-Wirtin und das merkt man.
Alle Gäste, die herein kommen, werden freundlich begrüßt und auch gerne an ihrem Tisch bedient, falls sie keinen Platz am Tresen finden. Der Tresen, der mehr oder weniger das Zentrum des Lokals bildet, ist ein bisschen wie die Kommandobrücke auf einem Schiff und Charlotte die Kapitänin.
Charlotte ist ganz einfach eine Respektsperson.
Von hier aus steuert sie ihren Laden durch alle Unwegsamkeiten, durch Wind und Wetter – mitten hinein ins Ungewitter sozusagen. Dabei ist sie mindestens so bestimmt wie herzlich. Wenn es sein muss, macht die blond gelockte Kapitänin klar Schiff. Ehrlich gesagt hat man aber von Anfang an das Bedürfnis sich gut zu benehmen. Charlotte ist einfach eine Respektsperson.
Den Respekt und die Bewunderung, die man ihr entgegenbringt, hat sie aber auch verdient, denn sie ist eine Wirtin, die sich um ihre Gäste kümmert – und zwar nicht nur, indem sie Bier zapft. Sie hat immer einen guten Rat oder passenden Tipp parat und ist selten um einen Spruch oder Witz verlegen.
Da schwingt wohl das Klischee der rheinischen Frohnatur mit, denn ursprünglich kommt Charlotte aus Aachen. Dort war sie schon in den 60er Jahren Teil des Aachener Nachtlebens, wo sie in den verschiedensten Lokalen als erster weiblicher Discjockey Deutschlands unterwegs war.
Ich war eine gute Mutter, eine schlechte Ehefrau und jetzt bin ich eine gute Wirtin.
Ende der 60er verschlug es sie dann für lange Zeit tatsächlich ins Allgäu. Genauer gesagt nach Oberstdorf, wo sie neben einer Diskothek auch das erste und echte „Ungewitter“ eröffnete. Nach einem schweren Autounfall in den 80er Jahren, gab sie ihre Lokale in Oberstdorf eher unfreiwillig auf. Aus Angst, die Läden nicht mehr führen zu können und damit auch die Zukunft ihrer beiden Söhne zu gefährden. Dabei sagt sie selbst, dass sie genau das am besten kann – Wirtin sein.
Ihre Gäste stimmen ihr da widerspruchslos zu. Sie lebt ihren Beruf: "Wir machen um 20 Uhr auf und schließen, wenn die Hosen unten sind." Wenn man dann noch hört, dass sie im Ungewitter allein im Jahr 2016 Gastgeberin für 168 Geburtstagsfeiern war, stellt man ihre Qualitäten ohnehin nicht mehr in Frage. Qualitäten, die auch immer wieder prominente Gäste in die Boazn in der Arcisstraße locken.
Zeugnis darüber legen die vielen Bilder an den Wänden des Ungewitters ab. Da wären Ottfried Fischer oder Andrea Berg und Gunter Gabriel schaut sowieso immer wieder vorbei. Promibonus gibt es da nur in Ausnahmefällen, vor Charlotte sind sie alle gleich. Naja, bis auf die wahren Stammgäste, denn die kommen in den Genuss eines ganz besonderen Luxus.
Ich mach' um 20 Uhr auf und schließe, wenn die Hosen unten sind.
Wer sich den Tresen nämlich mal genauer anschaut, findet kleine Schilder, auf denen Namen eingraviert sind. Da gibt es Roswitha und ihren Mann Reinhart, der hier auch mal mit seiner Band „Munich Flames“ auftritt oder Norbert, der gerne von seiner Vergangenheit als Jockey erzählt. Wer nicht zu diesem exklusiven Kreis zählt, der wird trotzdem freundlich aufgenommen, sofern er nicht „großkopfert“ daherkommt.
Namen sind aber ohnehin nicht so wichtig. Bei Charlotte ist man sowieso in den meisten Fällen „Spatzl“ – oder wahlweise „Mauserl“ und „Schatzi“. Selbst als eingefleischter Kosennamenverweigerer kann man sich dem Charme der Charlotte nicht entziehen und freut sich insgeheim jedes Mal wieder auf das nächste „Spatzl“.
Prost! Auf die Gesundheit, die Demokratie, die Schönheit und die Gesundheit
Je später die Stunde, desto ausgelassener natürlich die Stimmung. Die Ungewitter-Kapitänin ist gerne mal großzügig mit dem ein oder anderen Stamperl, stößt mit an und singt dann auch gerne mit zu den Songs die aus der Jukebox im Eck erklingen. Die ist sowieso eines der vielen Highlights im Ungewitter. Von Karel Gott über Frank Sinatra bis James Brown sind alle Klassiker dabei. Wirklich alle.
Abgesehen von der Songauswahl in der Jukebox kann man sich in den vielen Deko-Details und Kleinigkeiten im Lokal verlieren. Nur ganz aufmerksamen Beobachtern fällt auf, dass es das ein oder andere Foto doppelt gibt. Aber das ist spätestens dann wieder egal, wenn man aus seiner Trance geweckt wird mit einem: „Geh Mauserl, du hast ja gar nix mehr zu trinken.“
Vielen Dank an Julian Mittelstaedt von jmvotography für die tollen Fotos!
Ungewitter | Arcisstraße 62, 80799 München | Dienstag – Samstag ab 20 Uhr | Mehr Info