Das München-ABC: D wie Dahoam
München ist wahnsinnig schön – und manchmal auch ein bisschen langweilig, spießig und streng. Zu sauber und zu geregelt. Wenn dir auch jedes Mal auf der Isar-Brücke die Knie weich werden und dich aber nichts mehr aufregt als unsere Öffnungszeiten, Tanzverbote und Mutlosigkeit, dann bist du hier genau richtig. In unserem ABC schreiben wir auf, was wir an dieser Stadt unendlich gut, aber auch ziemlich beschissen finden. Diesmal: D wie Dahoam.
Dahoam heißt, grob übersetzt, ja erst einmal nichts anderes als Zuhause. Was genau dahoam aber bedeutet, ist noch mal eine ganz andere Geschichte. Auf der Suche nach der Antwort landet man zwangsläufig bei der ultimativen Quelle der Weisheit: Wandtattoos.
Nirgendwo anders eröffnen sich die unzähligen Bedeutungen von Zuhause, Heimat oder eben Dahoam in so vielen verschiedenen, glitzernden Facetten und vor allem Schriftarten, von denen man eigentlich dachte, sie seien gemeinsam mit Windows 98 von dieser Welt verschwunden.
In München wohnen, aus München kommen und Münchner sein sind nämlich drei grundverschiedene Dinge.
„Zuhause ist kein Ort, sondern ein Gefühl“. Ja, schon klar und „Schwabing ist kein Ort, sondern ein Zustand.“ Viel schlauer werde ich aus den altklugen Sprüchen nicht. Wie wird ein Ort ein Gefühl? Wie wird München Dahoam? Wie beantwortet man den allseits bekannten Ikea-Slogan mit: „Ja, ich lebe hier“?
Jedes Jahr ziehen über hunderttausend Menschen nach München. Ich bin mittlerweile schon sieben Jahre hier und komme nicht los. Will gar nicht loskommen. Mittlerweile ist die Stadt tatsächlich zu meinem Zuhause geworden, aber bin ich deswegen Münchnerin oder bleibe ich die ewig Zuagroaste? Ein Stigma, mit dem Neu-Münchner allzu gerne gebrandmarkt werden. In München wohnen, aus München kommen und Münchner sein sind nämlich drei grundverschiedene Dinge.
Die Stadt macht es einem nicht gerade leicht, richtig anzukommen. Wobei, die Stadt an sich mit jeder Menge Lebensqualität lockt. Tatsächlich sind es aber die Menschen hier, die einen ungern in ihre Blase aus Biergartencharme und Isaroase lassen. Aber hey, nichts gegen die Münchner. Die sind echt nett, aber eben nur zueinander.
Nichts gegen die Münchner. Die sind echt nett, aber eben nur zueinander.
Ich nehme es ihnen nicht einmal übel und erwische mich mittlerweile selbst bei Gedanken à la: „Puh, also neue Freunde? Äh, ja. Hab’ ich eigentlich keine Zeit für.“ Dabei hatte ich anfangs selbst so meine Schwierigkeiten. Und ich bin, weiß Gott, nicht schüchtern und kann grandios Interesse heucheln.
Ist den Münchnern aber leider egal. Die leben eben schon immer an diesem Ort der Glückseligkeit, der einen so meisterlich einlullt und alles Leid dieser Welt vergessen lässt. Schon verständlich, dass man nicht will, dass so ein dahergelaufener Neuankömmling für einen Riss in der Matrix sorgt.
Münchner leben schon immer an diesem Ort der Glückseligkeit, der einen so meisterlich einlullt und alles Leid dieser Welt vergessen lässt.
Schaue ich mir meinen Freundeskreis nach sieben Jahren so an, ist meine Erfolgsquote bei Münchnern – Gspusis ausgenommen – verhältnismäßig gering. Und, wenn das jetzt einige Freunde lesen und empört aufschreien: Nein, Herrsching ist nicht München. Bei Vaterstetten wird’s auch schon ganz eng.
Was aber hervorsticht ist, dass der Großteil zumindest aus süddeutschen Gefilden kommt. Da fällt die kulturelle und sprachliche Integration auch einfach leichter. Bei meinem Recklinghausener Mitbewohner bin ich nicht einmal sicher, ob er in seinen drei Jahren in dieser Stadt überhaupt schon einmal mit einem echten Münchner gesprochen hat.
Aber bevor jetzt ein menschlicher Mob mit brennenden Ziegelsteinen und Mistgabeln vor meiner Tür auftaucht, möchte ich noch eine Theorie in den Raum werfen, die erklären könnte, warum die Münchner immer unter sich bleiben, ohne sie als egoistische, eingebildete Snobs abzustempeln.
Wenn du es schaffst, einen alteingesessenen Münchner zu deinem Freund zu machen, dann ist dir seine ewige Treue sicher.
Es ist ein rein mathematisches, leicht nachvollziehbares Phänomen – von mir selbst in langwieriger, angewandter sozio-psychologischer Forschung aufgestellt: Die Biertisch-Konstante. Sie beschreibt die optimale Anzahl der Freunde, anhand der Tatsache, mit wie vielen Leuten man gemütlich an einem Biertisch sitzen kann.
Zu dritt ist es traurig, zu acht optimal, zu zwölft der absolute Abturner. Wenn man aus München kommt und hier aufwächst, hat man diese Anzahl bereits erreicht, bevor man mit Studium oder Ausbildung beginnt und ist daher ganz einfach freundschaftlich übersättigt. Simpel, oder?
Eines steht dafür aber fest: Wenn du es schaffst, einen alteingesessenen Münchner zu deinem Freund zu machen, dann ist dir seine ewige Treue sicher. Wenn es dir dann noch gelingt, nicht nur den Biertisch mit ihm zu teilen, sondern er dich auch in seine intimste Umgebung lässt, nämlich sein Zuhause aka Dahoam, kannst du nur noch hoffen, dass du eines dort nicht findest: Wandtattoos.