"Es ist echt schön hier! Wirklich!" – München und die ewige Rechtfertigung
Es war einmal irgendwo in Mittelamerika. Abends an einer Bar in einem dieser austauschbaren Hostels, in dessen Inneren man sich gar nicht so sicher sein kann, wo man eigentlich gerade ist, weil sowieso nur Deutsche und Australier hier rumhängen. Ein junger Mann – offensichtlich Australier – beginnt ein Gespräch mit einer jungen Frau aus Deutschland.
„So, where are you from?“
- „Germany.“
„Nice! From Berlin?“
- „No, I live in Munich“
„Oh.“
Herzlich Willkommen in der Smalltalk-Hölle und eine Sache mal vorweg: Die Figuren in diesem Dialog sind nicht frei erfunden und auch der Inhalt ist kein fiktiver. Es ist mir auf Reisen – egal ob innerhalb Deutschlands oder am anderen Ende der Welt – tatsächlich mehr als einmal passiert, dass ich ziemlich genau dieses Reaktion erntete, wenn die Sprache auf meine Heimatstadt kam. Awkward Silence lässt grüßen. Der ein oder andere war dann aber zumindest noch so nett hinzuzufügen: „But I guess Munich is aaaawesome. You have Oktoberfest.“
Und man wird fast schon mitleidig angeschaut, als wäre München ein schwerer Schicksalsschlag oder zumindest ansteckend.
Und wie wir Oktoberfest haben und ganz viel Wurst und Bier und Lederhosen und BMW und den FC Bayern und habe ich schon Bier erwähnt? Aber wem mache ich einen Vorwurf? Wie soll es ein Australier, der noch nie hier war, auch besser wissen? Ich glaube auch, dass er auf Kängurus durchs Outback reitet.
Für mich persönlich viel schlimmer, ist die Tatsache, dass ich solche Situationen auch – oder vor allem – mit Menschen habe, die aus anderen Teilen Deutschlands kommen. Da wird gern das norddeutsche Näschen gerümpft und man fast schon mitleidig angeschaut, als wäre München ein schwerer Schicksalsschlag oder zumindest ansteckend. Auf jeden Fall etwas, das hoffentlich bald wieder vorbei geht.
Das Schlimmste ist, dass ich glaube mich dafür entschuldigen zu müssen, dass ich in einer so schönen und lebenswerten Stadt wie München lebe.
Wieviel Vorarbeit war nötig, um im Rest der Bundesrepublik ein Bild von einer Stadt zu zeichnen, wie es oberflächlicher nicht sein könnte? Wer war das? Horst Seehofer, weil alle bayerische und Münchner Politik in einen Topf werfen? Sind wir das womöglich selber? Bin ich ein glatt geschniegelter Klischee-Snob und habe es noch gar nicht gemerkt?
So viele Fragen, aber ohne Witz, das allerschlimmste ist, dass ich in solchen Momenten sofort in die Defensive gehe, glaube mich rechtfertigen oder geradezu entschuldigen zu müssen für die Tatsache, dass ich in einer wunderschönen und lebenswerten Stadt wohne. Das sieht dann ungefähr so aus:
„Ah, du kommst also aus München…“
– „Hey, also jetzt mal ehrlich. München ist super. Echt, jetzt. Voll schön und so sauber, wir haben die Berge vor der Tür und nicht nur schicke Leute natürlich und der Bürgermeister ist kein CSUler, sondern von der SPD. Klar, die Mieten sind schon teuer und irgendwie auch viel Polizei und es gibt auch nicht so viele coole Clubs und Platz für Subkultur, aber…“
Ich kenne dieses trotzige Verhalten von mir gar nicht. Eigentlich bin ich eher so der Typ "Ja mei".
Und ab dann ist alles zu spät. Ich verstricke mich in irgendwelchen Floskeln, die ich auf einem wackligen Turm aus Klischees und Halbwahrheiten aufbaue, weil ich glaube, dadurch irgendetwas besser zu machen. Diese Taktik, um gegen die offensichtliche München-Skepsis (vermutlich sogar Abneigung oder gar Abscheu) meines Gegenübers vorzugehen, hat tatsächlich schon oft manchmal noch nie Früchte getragen. Ich gieße damit einfach nur Öl ins Feuer.
Es ist eine klassische Trotzreaktion. Ein Verhalten, das ich sonst so überhaupt nicht von mir kenne. Ich bin eher so der Typ „Ja mei“, was in diesen Situationen vermutlich die absolut beste Reaktion wäre, um dem Gesprächspartner und der eigenen Abwehrhaltung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn das ist doch das, was ich an München so mag und was vielleicht genau jenen, die München belächeln, gar nicht so klar ist.
Dementsprechend ist es wohl an der Zeit, die Rechtfertigungs-Taktik da hin zu verbannen, wo sie hingehört – in die katholische Kirche.
Eigentlich sind wir hier im Süden nämlich hardcore entspannt, unaufgeregt, offen und gesellig. Und uns ist vieles tatsächlich einfach reichlich wurscht. Dementsprechend ist es wohl an der Zeit, die Rechtfertigungs-Taktik da hin zu verbannen, wo sie hingehört – in die katholische Kirche. Da kann man sich im Beichtstuhl Absolution für seine wahren Sünden holen. Aus München zu kommen gehört da allerdings nicht dazu.
Wenn ich also mal wieder mit negativen München-Klischees bombardiert und von Vorurteilen erschlagen werde, dann packe ich einfach mein schönstes München-Klischee in Gestalt der absoluten Gemütlichkeit aus, lehne mich zurück und denke an ein Zitat von Eugen Roth: „Vom Ernst des Lebens halb verschont, ist der schon, der in München wohnt.“