Das München-ABC: W wie Wegbier
München ist wahnsinnig schön – und manchmal auch ein bisschen langweilig, spießig und streng. Zu sauber und zu geregelt. Wenn dir auch jedes Mal auf der Isar-Brücke die Knie weich werden und dich aber nichts mehr aufregt als unsere Öffnungszeiten, Tanzverbote und Mutlosigkeit, dann bist du hier genau richtig. In unserem ABC schreiben wir auf, was wir an dieser Stadt unendlich gut, aber auch ziemlich beschissen finden. Diesmal: Über den Zauber des Wegbiers.
"Der Weg ist das Ziel." – kaum ein Satz ziert so viele Tinderprofile, Schlafzimmerwände oder letzte Folien inspirierender Power-Point-Präsentationen. Alle, die diese Weisheit dann wie wild abnicken, die Ärmel hochkrempeln und motiviert die Fäuste in den Himmel strecken, weil genau jetzt ihr neues Leben beginnt, muss ich nun leider enttäuschen.
Der chinesische Philosoph Konfuzius, auf dessen Mist dieser Spruch angeblich gewachsen ist, bezog sich damals gar nicht darauf, wie der Mensch zu einem edlen Leben finden kann, sondern ganz einfach auf Bier. Denn so stolz wir auf unsere jahrhundertealte bayerische Biertradition sind, die Chinesen waren ein paar tausend Jahre früher dran.
Mit jedem Schritt, bei dem es uns begleitet, verschmelzen wir zu einer Symbiose aus Hopfen, Malz und Euphorie.
Wirklich gesichert ist diese Theorie zwar nicht, aber es ist auch nicht mal sicher, ob der gute Konfuzius das überhaupt jemals gesagt hat. Also bleiben wir zumindest bei dem, was wirklich sicher ist: Ein Bier, das wir an einem festen Ort trinken ist gut, aber ein Bier, das uns auf dem Weg zu einem Ziel begleitet, ist etwas Besonderes. Denn während wir zu Hause, im Wirtshaus, in der Bar oder beim Festival, ein Bier nach dem anderen trinken und eines dem anderen gleicht, ist das Wegbier jedes mal einzigartig. Wir wählen es scheinbar beiläufig aus, aber mit jedem Schritt, bei dem es uns begleitet, verschmelzen wir zu einer Symbiose aus Hopfen, Malz und Euphorie.
Jedes Mal wieder erfährt der fröhliche Abend einen Bruch, wenn es ums Aufbrechen geht. Während die einen wie festgewachsen auf ihren Stühlen sitzen, sich ausgelassen unterhalten und noch ein Bier aufmachen, scharren die anderen schon mit den Füßen und wollen die Gruppe zum Gehen veranlassen. Immerhin kostet der Eintritt bis zwölf nur die Hälfte oder man will die Vorband nicht verpassen. Knifflige Situation, doch das probateste Mittel, um alle Beteiligten glücklich zu machen: "Ihr könnt euer Bier doch unterwegs trinken!"
Außerdem hält es die Gruppe zusammen, denn wenn alle hundert Meter irgendjemand anstoßen möchte, ist es schwer sich zu verlieren.
Wobei "einfach unterwegs trinken" dem Wegbier definitiv nicht gerecht wird. Nicht nur, dass es die unterschiedlichen Interessen aller Partybeteiligten vereint, es ist immer genau das, was man gerade braucht. Ein Anker für nervöse Hände, die nicht wissen, wohin mit sich, ein Erkennungszeichen für Gleichgesinnte oder ganz einfach das Mittel zum Zweck: Pegel hochhalten. Außerdem hält es die Gruppe zusammen, denn wenn alle hundert Meter irgendjemand anstoßen möchte, ist es schwer sich zu verlieren. Außer in der nächtlichen Vorfreude auf all das, was ein Wegbier so einläuten mag.
Denn das ist das große Talent des Wegbiers: Es macht aus dem meist gar nicht so attraktiven Weg von einer Trinkstätte zur nächsten eine eigene kleine Party. Die Strecke, die man dabei zurücklegt, ist zwar im Vorhinein klar, aber auf dem Weg sind die Möglichkeiten unendlich und jeder erlebt mit seinem Bier in der Hand eine eigene kleine Geschichte, die sich im schillernden Kosmos der Nacht verliert.
Zwar ist der Weg angeblich das Ziel, aber man muss ja nicht ankommen wie ein mittelmäßig trainierter Marathonläufer, der bei der Ankunft über die Ziellinie kotzt.
Okay, werdet ihr sagen. Was passiert hier? Es ist bloß Bier. Krieg dich ein. Aber das ist es eben nicht. Es gab Zeiten, da waren wir jung und dumm und auf unserem Weg von der WG zum Club begleitete uns nicht eine wohlgeformte Glasflasche, die ungefähr fünf Prozent Alkohol und jahrhundertealte Braukunst enthielt. Es war eine pfandfreie Aldi-Plastikflasche mit fragwürdigem Inhalt, dessen Alkoholgehalt nicht nur easy die Fünf-Prozent-Hürde knackte, sondern direkt auf eine Alleinregierung zusteuerte. Auf eine ziemlich stillose und heillos besoffene.
Da ist das Wegbier die deutlich bessere Option. So verbindend und kommunikativ das Wegbier nämlich sein kann, es ist ein Einzelgänger und das sollte es auch bleiben. Kurz vorm Ziel ein zweites aufzumachen, wirkt irgendwie verzweifelt und nimmt dem Ganzen den Zauber. Übertreibung ist also nicht das Motto, denn zwar ist der Weg angeblich das Ziel, aber man muss ja nicht ankommen wie ein mittelmäßig trainierter Marathonläufer, der bei der Ankunft über die Ziellinie kotzt. In diesem Sinne: Don't drink and drive. Drink and walk!