Ganz der Baba #2: Es verändert sich nicht viel – es ist nur alles anders

© Marie Lechner

Sam und seine Frau haben nicht nur einen neuen winzigen Mitbewohner namens Teddy, sondern er auch einen neuen Job. Sam ist jetzt Papa – in Vollzeit. In dieser Kolumne nimmt er euch mit auf die Baustelle Baby. Warum freut man sich auf jemanden, den man noch gar nicht kennt? Was geht eigentlich bei den Münchner Mamas und was haben Air Jordans mit Feminismus zu tun? Immer mit dabei: die hilfreichen und manchmal fragwürdigen Lebensweisheiten seiner ägyptischen Mama. Folge Zwei: Alles wird anders, macht aber nix.

Früher leuchtete sonntags, wenn ich wach wurde, immer eine zweistellige Uhrzeit auf dem Handydisplay. In diesen Zeiten war an Sonntagen keiner meiner Homies vor 15 Uhr erreichbar und abgesehen vom Gang zur Dönerbude blieb man eher daheim und fühlte sich großartig dabei. Diese Zeiten waren schon lange vor der Geburt des Mitbewohners vorbei, denn meine Frau führte mich bereits kurz nach meinem Umzug nach München in die Welt der Spaziergänge ein.

Unser Spaziergang führt uns in die Maxvorstadt. Als Giesinger ist das wie begehbares Instagram.

Und so leuchtet an diesem Sonntagmorgen als wir uns auf den Weg machen, eine ganz klar einstellige Uhrzeit auf dem Display. Es ist so ein Sonntag, an denen man sich allzu gern einbildet, dass es die so nur in München gibt. Wir einigen uns auf einen “Städtetrip in der eigenen Stadt“ – unser Spaziergang führt uns in die Maxvorstadt. Als Giesinger ist das wie begehbares Instagram.

Ich bringe den Inhalt des Kinderwagens also auf Insta-Niveau und mache mich ebenfalls schick. Nicht Hemd-und-Anzug-schick, sondern eher die Art von schick, wenn man verheiratet und Mitte dreißig ist und einen Ausflug in irgendeine der unzähligen Hipsterbuden in der Maxvorstadt macht. Air Jordans, Bomberjacke, schlichtes Sweatshirt.

Immer wenn ich Gefahr laufe mich alt zu fühlen, ziehe ich Air Jordans an.

Beim Losspazieren frage ich mich kurz, was meine Junggesellen-Kumpels wohl gerade machen und fühle mich alt. Immer wenn ich Gefahr laufe mich alt zu fühlen, ziehe ich Jordans an. Es ist so als würden die Schuhe in einer Dauerschleife rufen: „Ey guck mal, ich bin ab jetzt VATER, aber alles easy! Ich bin voll der gleiche coole Typ, der Biggie hört und Sneaker sammelt und gar nicht ALT ist!“.

In ganz München werden Kinderwägen von genau solchen Outfits herumgeschoben, immer in dem Versuch zu unterstreichen, dass die Träger noch hip und stylisch sind. Mit Stolz und grenzdebilem Lächeln, aber irgendwie unbeholfen und fehlplatziert, sitzen sie dann in einer “Roastery“ und zahlen sehr dankbar für einen kalten Kaffee, sorry “Cold Brew“, 5,90 Euro.

Es verfolgt einen der unerklärte Wahn, dass sich ja gar nichts ändern soll, nur weil man jetzt ein Kind hat. Man will nicht “raus“ sein und das ist verständlich. Alles soll so spontan und frei sein, wie es war. Doch genau das, spontan und frei ist es eben definitiv nicht. Wenn ich mich jetzt entscheide, das Haus zu verlassen brauche ich weitere 45 Minuten um das Baby samt Zubehör einzupacken und loszukommen. Als wir mit Baby das erste mal eine Flugreise angetreten sind, gab es zwei Monate vorher einen wöchentlichen Jour fixe zum Stand der Planung.

Ich sollte jedoch der Realität in die kleinen Knopfaugen sehen und einsehen, dass sich alles verändert.

Es ist so, als würde das Elternwerden dem Angstgefühl des Älterwerdens einen Schub geben wie zwei bis drei Liquid Cocaine dem Verlauf eines Abends. Ich sollte jedoch der Realität in die kleinen Knopfaugen sehen und einsehen, dass sich alles verändert.

Meine Frau und ich gehen seit Teddys Einzug nicht mehr gemeinsam aus, sondern getrennt – an verschiedenen Abenden. Katertage werden grundsätzlich angekündigt und wie Timeouts eingesetzt. Ich kann außerhalb unserer Wohnung an nur sehr wenigen Orten in München aufs Klo gehen, da ich den Kinderwagen samt Passagier schlecht unbeobachtet irgendwo stehen lassen kann.

Du bist immer meine Nummer eins! – Ein tolles kleines Versprechen, welches Tag für Tag verteidigt werden muss.

Als meine Frau noch schwanger war, nahm sie während eines schönen Abendessens meine Hand und sagte mir: „Du bist immer meine Nummer eins, okay? Also der Kleine da, den werden wir schon lieben und alles, aber wir waren zuerst da und der darf jetzt halt mitspielen.“ Ein tolles kleines Versprechen, welches Tag für Tag verteidigt werden muss.

Ein Versprechen, das man sich eigentlich auch selbst geben sollte.
Man könnte sich wirklich zwei Leben lang mit sämtlichen Themen der Babywelt auseinandersetzen und nur noch genau darüber reden, aber dafür ist ja Haidhausen da. Es ist alles anders und das ist großartig. Wenn ich das begriffen habe, bleibt doch irgendwie alles cool. Ich sehe ein, dass der klitzekleine Mensch ab sofort der Taktgeber ist. Was jedoch zwischen zwei Takten passiert, ist mein Bier.

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