Ganz der Baba #18: Es gibt keine Cheats im Erziehungs-Game

© Marie Lechner

Einer der großen Powermoves an München? Die Möglichkeiten, den Besuch zu beeindrucken – vor allem, wenn die ägyptische Verwandtschaft vorbeischaut und man einen Tisch in einem strategisch günstig gelegenen Wirtshaus geschossen hat. Und so saßen wir vor einer ganzen Weile mit der Familie meines Cousins aus Kairo in einem solchen Wirtshaus und beobachteten ihr ungläubiges Lächeln, das so etwas sagte wie: "Wow, diese Kostüme und die mittelalterliche Stube sehen total echt aus."

Aber hey, für Aussenstehende sieht vieles in Bayern aus wie das Mini-Deutschland in Disneys Epcot Center und versprochen: Ihr schaut ähnlich entzückt bis ungläubig, wenn ihr das erste mal in Kairo einen Eselkarren oder einen Typen in Galabija seht. Um die Vielfalt der Gesichtsausdrücke zu vervollständigen, setzte meine damals schwangere Frau noch einen drauf: Verblüffung. Denn nachdem die Kinder meines Cousins schon einen souveränen und kalorienreichen Walkthrough durch die Speisekarte hingelegt hatten, nickten die Eltern den Nachspeise-Wunsch aus Schokoeis und heißer Schokolade kommentarlos ab.

Sehr hübscher Genpool, aber wehe du verziehst meinen Sohn mit Schokoladeneis und Kakao!

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die etwas unkontrollierte Mimik meiner Frau folgendes sagte: "Sehr hübscher Genpool, aber wehe du verziehst meinen Sohn mit Schokoeis und Kakao!“ Ich versuchte mich gesichtstechnisch auf neutralem Terrain zu bewegen und mir wurde klar, dass ich im Falle einer Konfrontation auf jeden Fall im Team Anti-Kakao-Erziehung sein sollte. Nicht zuletzt, weil ich bis zu meinem 26. Lebensjahr noch schokoladige 123 Kilo gewogen hatte.

Ja, und während man doch eigentlich nur auf Matratzen hüpfen, extra viel Sahne auf den Kakao packen und gemeinsam mit Teddy einfach nur Kind sein möchte, kommt da dieser miese Endboss namens Erziehung um die Ecke. Immer wieder aufs Neue und egal, wie oft du es versuchst, du hast nie den ultimativen Trick, um ihn zu plätten.

Eben toben wir noch ausgelassen in der Wanne herum und ballern das gesamte Bad einmal auf Land unter. Im nächsten Moment frage ich mich schon, ob dieses unkonventionelle Badeabenteuer dafür sorgt, dass Teddy mit 15 im Jugendknast sitzt, weil ihm das gemäßigte Baden in seiner Kindheit gefehlt hat und er deshalb angefangen hat, seine Mitschüler gewaltsam zum Baden zu zwingen.

Ja, und während man doch eigentlich nur auf Matratzen hüpfen, extra viel Sahne auf den Kakao packen und gemeinsam mit Teddy einfach nur Kind sein möchte, kommt da dieser miese Endboss namens Erziehung um die Ecke.

Während ich Teddy mit herabhängenden Spaghetti-Lianen füttere, die er freudig quietschend aufschnappt, fragt mich immer wieder der klitzekleine aber gemeine Erziehungskobold auf meiner Schulter, ob ich gerade dafür sorge, dass Teddy niemals in seinem Leben ordentlich essen lernt. Ich stelle mir vor, wie der nach Teenieschweiß riechende, Gesichtsflaum tragende Teddy als Azubi in der Betriebskantine sitzt und seinen Chef darum bittet, ihn mit einer Spaghetti-Liane zu füttern, weil er es nicht anders kennt.

Der kleine, gemeine und schmallippige Erziehungskobold ist bei jeder Entscheidung am Start und mischt sich mal mehr mal weniger ein. Oft frage ich mich, ob das sein muss und ob wirklich jeder Schritt so gravierend ist, wie viele tun? Es gibt doch gar kein universelles richtig oder falsch in Sachen Erziehung – mal abgesehen vom Standard-Wertekatalog und dem Ziel, dass das Kind kein Arschloch wird.

Außerdem will ich nicht jedes Nein zu einem Machtkampf machen und denke dabei gerne an meinen eigenen Baba, der immer sagte: 'Zücke kein Schwert, das du nicht führen kannst.'

Und überhaupt, wann geht das eigentlich wirklich los mit dem Erziehungs-Game? Die ersten zwei Jahre sind doch das Tutorial, oder? Bin ich schon Game Over, wenn ich einem zehn Monate alten Baby einfach mal alles gebe, was es braucht oder werde ich schon früher als gedacht eiskalt manipuliert? Wenn ein Einjähriger gerade gelernt hat einen Ball zu werfen und dafür immer fette Props kassiert hat, was erzähle ich ihm, wenn er mit Klötzen wirft?

Ich bin mir sicher, dass ein „Nein“ irgendwann den Sinn verliert, wenn man es zu oft raus haut – so wie bei diesem Tomatensalat Song. Außerdem will ich nicht jedes Nein zu einem Machtkampf machen und denke dabei gerne an meinen eigenen Baba, der immer sagte: "Zücke kein Schwert, das du nicht führen kannst." Aus einer tagesaktuellen Messung weiß ich, dass ein fieser Erziehungs-Fight mit einem Zweijährigen ziemlich genau 87 Minuten dauern kann. Da kann eine kurze Gewinn-Verlust-Rechnung nicht schaden, bevor man die Nein-Gun abfeuert.

Was ich aber sicher weiß: Es gibt nirgendwo im Netz dieses eine PDF, in dem die Lösung oder zumindest ein Cheat-Code für das Parenting Game geschrieben steht.

Was ich aber sicher weiß: Es gibt nirgendwo im Netz dieses eine PDF, in dem die Lösung oder zumindest ein Cheat-Code für das Parenting Game geschrieben steht. Glaubt mir, ich habe danach gesucht! Mein einziger Tipp: Denkt euch was besseres aus als dieses nervige langgezogene und ausgelutschte "Neeeeiiiiiin" – das kann Neuhausen ja so machen, aber ich hab „Reiß' da, ya Wallad“ für mich entdeckt. Eine wunderbare Sprachsymbiose aus den niederbayerischen Wurzeln meiner Frau und meinem eigene arabischen Anteil. Für Teddy bedeutet das so viel wie: Reiß' di zam, sonst gibt's nie wieder Kakao mit Schokostreuseln und Schokoladeneis.

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