Ganz der Baba #17: Wu-Tang und Zeitmanagement are forever

© Mariel Lechner

Als ich klein war hatten wir einen sehr bemerkenswerten Nachbarn, Herrn Steinhoff. Herr Steinhoff war unserer Meinung nach der Inbegriff von Spießigkeit, weil er so unfassbar vorhersehbar und programmiert war. Jeden Samstag um punktgenau 10.15 Uhr wusch er seinen Opel Astra und um Punkt 12.10 Uhr rief ihn seine Frau zum Mittagessen.

Er kam jeden Tag um exakt die gleiche Zeit nach Hause (18.31Uhr) und ging – vermutlich nach dem Abendessen – um genau 19.12 Uhr mit seinem Hund Gassi. Herrn Steinhoffs Daily Routine hatte ein bisschen was von pleasantville und der Unterschied zu seinen ägyptischen Nachbarn – also uns – hätte nicht größer sein können.

Mama hat immer gesagt: ,Es ist so lange 13 Uhr bis es 14 Uhr ist'.

Ich glaube, dass „strukturiert“ das letzte Wort wäre, mit dem irgendjemand meine Familie jemals beschreiben würde. Als Kind hatte ich keine festen Schlafenszeiten, vielmehr sah mir meine Mutter abends in die Augen, entschied, dass ich nun im Arsch sei und es Zeit wäre ins Bett zu gehen. Regeln gab es bei uns trotzdem: Gegessen wurde dann, wenn die Mehrheit der Familie Hunger hatte, aber immer gemeinsam – das war unumstößlich. Ich empfand feste Zeiten und Tagesstrukturen also immer als spießig und Herr Steinhoff war für mich der Overlord der Spießigkeit. 

Den Düsseldorfer Flughafen zum Beispiel erkenne ich nur aus dem Laufschritt und nicht etwa wegen unvorhersehbarer Ereignisse, sondern weil wir es im Kollektiv nie schafften, Zeiten einzuschätzen. Aus ähnlichem Grund dachte ich einen Großteil meiner Kindheit, dass es normal sei vorm verschlossenen Ladeneingang zu diskutieren, ob man noch schnell reindürfe. Mama hat immer gesagt: „Es ist so lange 13 Uhr bis es 14 Uhr ist“. Vor diesem Hintergrund ist es wohl nachvollziehbar, dass ich ich nicht von Haus aus von der Zeitmanagement-Muse geküsst bin.

Ich bin mittlerweile officially versteinhofft, denn ich schreibe Essens- und Einkaufspläne für die ganze Woche und weiß auf die Minute genau, wie lange ich brauche, um die Küche aufzuräumen.

Ja, und dann kam Teddy. Der kleine zottelige Mitbewohner mit seinem Rucksack voller Bedürfnisse, der sich mit der 13-Uhr-Weisheit meiner Mama leider nicht besänftigen lässt, sobald er hangry wird. Aber wie das so ist: Man lernt sich kennen. Irgendwann weißt du, dass dein hauseigener Zweijähriger exakt 28 Minuten nach dem Mittagsschlaf gerne einen Snack hätte. Die Nachmittage, an denen ich das noch nicht begriffen hatte, sahen ungefähr so aus:

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Ich musste also Vater werden, um Zeitmanagement nicht nur zu lernen, sondern zu leben. Denn es ist dieser sich immer wiederholende Tagesablauf, der dafür sorgt, dass uns die Sonne aus dem Arsch scheint. Ich bin mittlerweile officially versteinhofft, denn ich schreibe Essens- und Einkaufspläne für die ganze Woche und weiß auf die Minute genau, wie lange ich brauche, um die Küche aufzuräumen. Die Tatsache, dass ich dabei Wu-Tang höre, macht es für mich auf jeden Fall vertretbar.

Spart euch also die 60 Tacken für die Mindfulness-App, die euch zwingt Regentropfen anzustarren, und erweckt den Steinhoff in euch

Was es noch vertretbar macht? Die Erkenntnis, dass Rituale helfen: Jeden Tag um die selbe Zeit aufstehen, also dann, wenn der kleine Mitbewohner im Pinguinschritt seines Schlafsacks ins Schlafzimmer tapst. Nachmittags mal kurz die Fresse halten und die Augen schließen. Um 17 Uhr in aller Ruhe mit den Vorbereitungen fürs Abendessen beginnen. Klingt alles spießig, aber es ist das Geheimnis meiner jedi-artigen Macht, Teddy zum Einschlafen zu bringen und beim Kochen mit einem neugierigen Zweijährigen im Zen-Modus zu bleiben.

Spart euch also die 60 Tacken für die Mindfulness-App, die euch zwingt Regentropfen anzustarren, und erweckt den Steinhoff in euch. Schraubt die Spießerskills auf 1000 und schaltet in den turbo-pursuit-mode des Kleinbürgertums. Denn auch wenn der Tag minutiös durchgeplant ist, bleibt zwischen den festen Inseln der Spießigkeit immer noch genug Zeit, um mit Teddy auf der Couch  zu Wu-Tang "Ain't Nothing to Fuck With“ um die imaginäre Tonne zu tanzen.

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