Ganz der Baba #21: Rassismus und andere Kinderkrankheiten

© Marie Lechner

Es ist also Samstag und Teddy schlägt mit dem Wort „Basketball“ die Augen auf! Gesagt, getan. Da hat der Baba eh Bock drauf und jeder Wurf bringt mich ein wichtiges Stück weiter weg davon, meine Samstage zukünftig auf dem Gelände des TSV "Was weiß ich" zu verbringen. Ich habe sogar eine kleine Konstruktion gebaut, die dafür sorgt, dass Teddy und ich wie zwei echte Homies mit einem signifikanten Größenunterschied zocken können.

Ein Papa, dessen Kinder in die selbe Kita gehen, kommt mir entgegen und fschließt sich mit seiner Bande an. Wir haben den selben Garderobenzyklus. Das ist Elterndeutsch für das zeitgleiche Bringen und Abholen der Kinder in der Kita. Der Mann hat vier Kinder und kümmert sich meiner Einschätzung nach wirklich herzallerliebst um sie. Die Kinder spielen also gemeinsam auf den kleinen Mini-Korb, während ich zwischen den üblichen Smalltalk-Fetzen immer wieder mal auf den Korb werfe.

Woher kommst du eigentlich? jetzt steht diese Frage im Raum und wir beide wissen, welche Antwort der andere Papa hören will. Er will nicht wissen, aus welcher Himmelsrichtung ich den Basketballplatz angesteuert habe. Er will wissen, woher meine Hautfarbe, mein Gesicht, meine Haare stammen.

„Woher kommst du eigentlich?“, werde ich plötzlich gefragt. Ja, jetzt steht diese Frage im Raum und wir beide wissen, welche Antwort der andere Papa hören will. Er will nicht wissen, aus welcher Himmelsrichtung ich den Basketballplatz angesteuert und auch nicht, wo ich vor München gewohnt habe. Er will wissen, woher meine Hautfarbe, mein Gesicht, meine Haare stammen.

Sollte es grundsätzlich tabu sein, dies zu fragen? Ich habe bis heute keine Antwort darauf, aber ich bin mir sicher, dass die Frage nach der Herkunft - sollte das überhaupt okay sein - erst weit nach dem „Wie heißt du?“ kommen sollte. Das ist der Kompromiss, der aus meiner inneren Diskussion entsteht.

Ich habe Respekt vor – nennen wir ihn Heinz, denn das "Wie heißt du?" haben wir tatsächlich übersprungen – als Vater und wie er das mit den vier Kindern rockt und entscheide mich, ihm eine freundliche und reibungslose Experience zu ermöglichen.

Anscheinend bin ich in eine Nato-Sitzung geraten, denn das ist der einzige Grunde, der mir einfällt, warum die Herkunft so unmittelbar nach meinem Namen genannt wird.

„Meine Eltern stammen aus Kairo. Ich bin in Düsseldorf geboren und in einem kleinen Ort namens Anrath aufgewachsen.“, gebe ich mit einem Lächeln bekannt und erkundige mich endlich nach seinem Namen. Man stellt sich vor. Ein weiterer mir unbekannter Vater kommt hinzu und wir nennen ihn Gustl. Heinz und Gustl kennen sich und bevor Gustl nur eine Silbe zum Gruß ansetzen kann, erklärt Heinz aufgeregt und in feinstem Lothar-Matthäus-Englisch:

„This is Sam, he is from Egypt. This is Gustl, he is from England.“

Ich spare mir eine komödiantische Schreibweise, die Situation ist absurd genug. Anscheinend bin ich in eine Nato-Sitzung geraten, denn das ist der einzige Grunde, der mir einfällt, warum die Herkunft so unmittelbar nach meinem Namen genannt wird. Ich wollte doch eigentlich nur mit meinem Sohn ein paar Körbe werfen.

Puh, also der Typ versteht es wirklich verschwenderischer mit seinen Sympathien umzugehen als ein Oberpollinger Stammkunde mit seiner Kohle

„So Sam, do you feel more German or Egyptian?“, werde ich im direkten Anschluss gefragt. Puh, also der Typ versteht es wirklich verschwenderischer mit seinen Sympathien umzugehen als ein Oberpollinger Stammkunde mit seiner Kohle. Nach der „Das Mädchen kommt nicht von hier“ - Geschichte von Folge 2o habe ich mir vorgenommen, mehr in den Dialog zu gehen und anscheinend ist das meine erste Prüfung. Ich antworte also wieder höflich, reibungslos und auf Englisch:

„Ich denke, dass das schwierig zu beantworten ist, Heinz. Es gibt Situationen in denen ich meine ägyptische Herkunft deutlich in Deutschand spüre. Es gibt aber auch viele Momente in Ägypten, in denen ich meinen deutschen Kultureinfluss sehr stark bemerke. Ich habe gelernt, mich zwischen den Stühlen wohl zu fühlen.“

Ich bin mir für einen Moment nicht sicher, ob er mich wirklich und so selbstverständlich Kameltreiber genannt hat und bete mir mantraartig das Wort „DIALOG“ in den Schädel, bevor ich meine Reaktion darauf wähle.

Ungläubig schaut Heinz mich an:
„Why? Do you have strong Kameltreiber genes?“

What? The? Fuck?

Ich bin mir für einen Moment nicht sicher, ob er mich wirklich und so selbstverständlich Kameltreiber genannt hat. Während ich gedanklich noch fassungslos taumle, bildet er drei weitere Sätze mit dem Wort Kameltreiber. Mein Puls steigt, das Schlucken fällt mir schwer und meine Handflächen beginnen zu schwitzen. Awkward Level 1000. Ich bete mir mantraartig das Wort „DIALOG“ in den Schädel, bevor ich meine Reaktion darauf wähle.

Mein Lächeln verschwindet bis auf ein Mindestmaß. Folgender kleine Dialog fand erneut auf “Englisch“ statt.

Sam: „Ich mag das Wort Kameltreiber nicht."
Heinz: „Warum? Findest du’s rassistisch?“
Sam: „Ja. Rassistisch und despektierlich.“
Heinz: „Warum?“
Sam: „ Mein Vater war kein Kameltreiber, meine Mutter war keine Kameltreiberin, Ich bin kein Kameltreiber und mir ist niemand in meinem gesamten Familienstammbaum bekannt, der Kameltreiber ist oder war. Diesen Namen für mich zu wählen, weil ich aus Ägypten stamme ist rassistisch.“

Könnte es jedoch sein, dass ich es eventuell geschafft habe, dass jemand ein bisschen mehr über sein Gesagtes nachdenkt?

Der Platzregen erlöst mich und Teddy von dieser bemerkenswerten Unterhaltung und wir machen uns auf den Weg nach Hause. Ich bin zu meiner Überraschung nicht wütend. Ich bin glücklich, erleichtert, optimistisch. Ich glaube nicht, dass Heinz ein Rassist ist. Ich glaube, dass Heinz sich einfach nur verbal vergriffen hat. Ja, es war für einen Moment unangenehm, sehr sogar. Könnte es jedoch sein, dass ich es
eventuell geschafft habe, dass jemand ein bisschen mehr über sein Gesagtes nachdenkt?

Ist es nicht eigentlich genau das, was ich meinem Sohn beibringen sollte? Dialog? Wenn ja, warum lerne ich es gerade erst mit 36 Jahren? Ist Dialog etwa “Drüberstehen 2.0“? Es ist Montag und Heinz jongliert seine vier Kinder in der Garderobe der Kita in ihre Hausschuhe. Er entschuldigt sich und nach der Kita hängt man zusammen auf dem benachbarten Spielplatz ab.

Also das mit dem Dialog ist zwar wirklich aufwühlend, aber nachhaltig und nachhaltig mögen alle gern.

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