Mein Lieblingsort in München #14: Die kleine Brücke zum Grünwalder Stadion

© Dominik Schelzke

Wir empfehlen jeden Tag jede Menge toller Locations, ausgesucht von uns und unseren Autor*innen. Und trotzdem hat jede*r von uns dieses eine immer gleiche Café, in dem er oder sie schon seit Jahren draußen seinen Cappuccino trinkt, den einen See, an den man immer wieder fährt und von dem man einfach nicht genug bekommt oder diese eine Ecke der Stadt, die das Herz jedes Mal aufs Neue höher schlagen lässt. Hier kommen unsere ganz persönlichen Lieblingsorte in München. Heute erzählt uns Dominik, wie er über eine kleine Brücke gleichzeitig ins Stadion und nach Hamburg kommt.

Mit Lieblingsorten ist das so eine Sache. Ähnlich wie die meisten sogenannten "Fixpunkte" im Leben – Beziehung, Freundschaft, Heimat – sind sie tatsächlich weniger feste Punkte, als viel mehr wechselnde Konstanten. Mein Lieblingsort zum Beispiel ist sehr variabel. Manchmal liegt er in der Kammer am Ende des Flurs. Es ist der Raum, der von allen Öffnungen meiner Wohnung am weitesten entfernt ist. Wenn es mir zu viel wird, sitze ich dann mit angezogenen Beinen in dem Platz unter dem tiefsten Regalbrett – und bin froh, ein bisschen Abstand zwischen mich und die Welt gebracht zu haben.

Bis vor wenigen Monaten hätte ich noch gesagt, egal ob es mir zu viel oder zu wenig wird: Mein Happy Place ist der Milla Live Club. Aber dem Club wurde ja das "Life" gestrichen. Also gibt es eigentlich nur noch eine konstante Örtlichkeit – neben dem stillen Örtchen. Der Flecken Erde, an dem die Innenstadt brandet. Der eine andere Ruhe ausstrahlt. Mein persönlicher Hamburger Hafen: Die kleine Brücke zum Grünwalder Stadion.

© Dominik Schelzke
© Dominik Schelzke

Eine Brücke, die nicht nur zwei Stadtteile, einen Park und ein Stadion verbindet, sondern auch mich und meine Sehnsuchtsmomente. Doch beginnen wir mit der räumlichen Einordnung. Wenn ihr mir also von der Silberhornstraße aus folgen wollt, vorbei am Riffraff und meiner geliebten Bavaria-Petrol-Tankstelle. Hinter dem Eisner-Rabinowitz-Mural gelangt man zur Bergstraße – Weg, Ziel und halbe Miete in einem. Sobald eure Sohlen komplett den Boden berühren, sollte die Stadt schon einen Gang runter geschaltet und sich der 30er-Zone angenähert haben.

Es wird dunkler, leiser und durch das kleine Bergwaldstück schimmert Untergiesing. Nachts breitet sich ein angenehmes Gefühl aus. Das ganze Leben hinter mir. Ich beginne zu schlendern, selbst wenn ich es eilig hätte. Aber man hat es auf der Bergstraße nicht eilig. Wozu? Wohin führt sie denn, dass es so pressieren würde? Zum Stadion, wo das Bier auch fünf Minuten nach Anpfiff noch frisch schmeckt. Zu meiner Laufstrecke nach Harlaching, wo mir allein schon meine Lunge jegliche Eile verbietet. Und eben zu einer Brücke, für die Google keinen Namen kennt.

Der Flecken Erde, an dem die Innenstadt brandet. Der eine andere Ruhe ausstrahlt. Mein persönlicher Hamburger Hafen.

Erst sind da noch Laternen, die an den Ligusterweg und Dumbledores Feuerzeug erinnern. Verdammt, wie gern würde ich es klicken lassen. Vor allem im kleinen Park direkt vor der Brücke, wo die Lampen plötzlich so spärlich leuchten, dass es pechschwarz nicht gruseliger sein könnte. Aber ein kleiner Schauer ist vollkommen fein, es folgt ja etwas Wohliges. Da liegt er, dieser Fußgängerüberweg, menschenleer und unspektakulär, wie Fußgängerüberwege eben so sind. Fast schon ein wenig losgelöst und entrückt. Man kann sich mitten auf die Brücke stellen, niemand wird davon Notiz nehmen. Mittendrin und nicht dabei. Unten fließen rot-weiße Flüsse, Autos kämpfen miteinander, reißend, überbieten sich, in die Berge oder an die Isar und schwappen im Takt der Ampeln auf und ab.

© Dominik Schelzke
© Dominik Schelzke
Aber die Schornsteine leuchten heller – und bei Nebel könnten sie fast den Hamburger Hafen imitieren. Fast.

Doch warum in Niederungen schweifen, wenn das Kraftwerk doch so nah? Um seine Schornsteine fügen sich manchmal Ausblicke zu einer Szenerie zusammen, als hätte jemand Caspar David Friedrich die industrielle Revolution in den Horizont gebombt. Aber wie schön es ist. Egal ob Sonnenunter- oder -aufgang. Regenwolkenschwaden oder bedrückendes Nichts. Irgendeine hängengebliebene Lichterkette rettet schon vor zu viel Kitsch. Aber die Schornsteine leuchten heller – und bei Nebel könnten sie fast den Hamburger Hafen imitieren. Fast.

Hier ist München großstädtischer denn je und münchnerischer zugleich.

Hier weht ein anderer Wind, geradezu eine friesische Brise eben. Hier kann ich tiefer durchatmen, obwohl ich das ob der Abgase unter mir vielleicht gar nicht sollte. Hier ist München großstädtischer denn je und münchnerischer zugleich. Ein Krankenwagen eilt unter der Brücke durch, brüllt kurz "Schicksal" und verschwindet. Hier fühlt sich jeder Gedanke tiefgründig an, obwohl sich die wirklichen Dramen natürlich fünfzig Meter weiter in blau-weiß auf grün abspielen.

Auf meiner Giesinger Brücke will ich immer ein bisschen zu lang stehen. Ständig das Gefühl, den richtigen Zeitpunkt zum Aufbruch zu verpassen. Wie in einem Film, in dem die Regisseur*in das melancholische Moment ein wenig überstrapaziert. Nein, aber ja, für cineastische Schlussszenen würde sich die Brücke auch eignen. Im Herbst könnt ihr eine besondere Abschiedsvorstellung erleben. Die Bäume legen hörbar ihr letztes Gewand ab. Es ist erleichterter Applaus.

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