Wie kann das sein? Die Clubs machen auf – und ich will nicht feiern.

© Ferhat Deliktas

Das grenzt ja schon an Wahnsinn. Da jammert man fast zwei Jahren lang rum, wie sehr man das Nachtleben doch vermisst. Dann machen die Clubs wieder auf – und plötzlich geht man nicht mal hin? Wahnsinn! Laut Einstein ist es ja Wahnsinn, wenn man immer wieder das Gleiche tut und andere Ergebnisse erwartet. Ich würde eine alternative Deutung vorschlagen: Aus meiner grundsätzlich sehr ausgehenden Perspektive ist es geradezu wahnsinnig gewesen, die letzten beiden Wochenenden nicht zu nutzen, nicht tanzen zu gehen. Und gleichzeitig hat unsere Instagram-Umfrage vor der Wiedereröffnung der Diskotheken gezeigt, dass ihr auch nicht vorhattet, in großem Stil zu feiern. 81 Prozent der Antwortenden waren gegen den Club-Besuch. Wie kann das sein?

Übrigens bedeutet dieses Ergebnis und mein Fernbleiben vom Nachtleben nicht, dass nicht ordentlich die Puppen getanzt hätten. Beziehungsweise die Püppchen. Übereinstimmendes Feedback aller meiner Freund*innen, die 2021 schon Clubs von innen gesehen haben: Die Kids dürfen endlich die Luft unter der Diskokugel schnuppern – und tun es wohl auch. Wer sich also vor zwei Jahren schon auf mancher Tanzfläche ein wenig alt vorgekommen ist, darf sich auf jeden Fall auf den kommenden Herbst freuen. Ich war am ersten Freitag, dem Abend der Cluberöffnung, bei einem wunderschönen Konzert von Fazer in der Muffathalle und nebenan sind die Leute so sehr Richtung Ampere gestürmt, dass sie die Tore des Muffatwerks verriegeln mussten. Wir konnten kurzfristig das Gelände nicht verlassen. Manche Menschen haben auf jeden Fall Bock.

Ich freue mich sehr für die Gastro und freue mich sehr darauf, wieder zu feiern. Aber momentan fühle ich es noch nicht.

Trotzdem hat man nicht das Gefühl, die ganze Stadt würde brennen. In München natürlich ohnehin ein seltener Aggregatzustand, aber nach so einer langen Pause wäre das ja vielleicht zu erwarten gewesen. Stattdessen rasten "nur" die Clubs und Bars, die offen haben, komplett aus. Eine Freundin war am ersten Wochenende im Harry Klein, viel Bewegungsspielraum war da anscheinend nicht. Ich bin zumindest mit dem Taxi vorbeigefahren. Kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so eine Menschenmasse vor dem Harry gesehen hätte. Auch das Blitz hatte am Samstag laut Handyvideos fast schon ähnliche Zustände wie bei ihrem allerersten Opening.

In den Bars, in denen ich war, ein sehr ähnliches Bild. Man trifft viele Menschen. Man trifft viele neue Menschen. Und dennoch teilen viele dieser Menschen meine Wahrnehmung: Ich freue mich sehr für die Gastro, freue mich sehr für die Teenager*innen, die nun endlich dürfen und freue mich sehr darauf, auch wieder zu feiern. Aber momentan fühle ich es noch nicht. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

© Ferhat Deliktas

Ein paar Läden von früher haben zugemacht, ein paar noch nicht wieder auf. Das Crux ist weg, das Cord auch, das Charlie oder die Gruam starten erst wieder. In der Milla finden quasi nur Nachholkonzerte vom letzten Programm statt, jedenfalls keine Partys. Während in Berlin sogar neue Clubs aufgemacht haben, gibt es in München eigentlich nur den Keller vom Enter the Dragon, den ich mir vielleicht mal anschauen würde. Der Cord Club macht im Oktober wohl noch als "Kauz" wieder auf, da bleibt abzuwarten, wie das wird.

Dann ist da natürlich noch diese Pandemie, die sich jetzt zwar anscheinend nicht mehr nach Zahlen sondern nach Ampeln bemessen lässt. An die ich aber doch mal kurz denken muss, wenn ich mich an dutzende Menschen in einer kleinen Bar drücke. Vor allem, wenn ich am Eingang vielleicht nur gefragt wurde, ob ich geimpft bin – und nicht kontrolliert. Ist mir nur ein-, zweimal passiert, aber dennoch: Ein bisschen Respekt schwingt da schon noch mit. Und ein bisschen Entwöhnung.

Es wird nie wieder 2019. Aber 2021 könnte noch auf andere Weise gut werden.

Ohne jetzt den neuen Biedermeier ausrufen zu wollen, aber vielleicht sind wir schon ein bisschen ruhiger und – Vorsicht – älter geworden? Ich habe mich jedenfalls ganz gut daran gewöhnt, mir mehr oder weniger gemütlich Drinks in Bars zu genehmigen. Dafür brauche ich keine langen Schlangen, keine verschwitzten Menschenmengen und auch keine fragwürdigen Musikübergänge. Gleichzeitig hat man das objektiv noch nie gebraucht. Und trotzdem waren wir alle ständig in den Clubs dieser Stadt. Weil es im besten Fall eben unheimlich viel Spaß macht. Weil die Schlangen auch wieder kürzer werden. Weil die verschwitzten Menschen bei der richtigen Musik zu den besten Freund*innen werden können.

Wie schön war das denn, wenn man früher komplett im Nachtleben abgetaucht ist, nur um einen Sonnenaufgang später und viele Gehörnerven weniger wieder ausgespuckt zu werden. Fremde Menschen wurden zu wichtigen Vertrauten, die nach fünf Weinschorlen plötzlich auf jede Lebensfrage eine Antwort hatten. Und die man danach nie wieder gesehen hat. Diese eine DJ, die einen Mix aus deiner Playlist und Songs, die darauf noch gefehlt haben, abgefeuert hat. Unendliches Tanzen, unendliche Euphorie, unendliche Leber. Noch einen Liquid Cocaine und weiter ging es.

So wie es auch jetzt weiter geht. Vielleicht brauche ich noch ein bisschen, bis ich wieder in diesem Zustand ankomme. Vielleicht müssen wir uns auch kollektiv erst an diesen neuen Abschnitt gewöhnen. Mit jeder Diskothek und jeder Bar, die wieder aufmacht, verteilt sich die Masse auch wieder auf die ganze Stadt. Ich glaube außerdem nicht, dass wir im Biedermeier 2.0 angekommen oder alt geworden sind. Es wird nie wieder 2019. Aber 2021 könnte noch auf andere Weise gut werden. Und ich habe vor, (das) zu feiern!

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