Wohnungssuche: München, ich liebe dich, aber du gehst mir an die Substanz

© Lisa Pawlowski

München, ich liebe dich. Ja wirklich, innig und ehrlich. Auch wenn du Fehler machst, mir manchmal zu schnieke und manchmal zu intolerant bist. Manchmal auch beides. Aber oft, sehr oft auch nichts davon. Selbst wenn du mir keine 365 Tage Sonne im Jahr versprichst, kein Salzwasserrand auf triefenden Bikinitops oder leicht bräunliche Palmenblätter am graubläulichen Horizont. Ich bin gern bei dir. So gern, dass ich dich bis aufs letzte Schampusglas vor allen anderen deutschen Städten verteidigen würde. Denn eigentlich will ich nirgendwo anders lieber sein, als hier. 

Denn wenn nicht irgendwer irgendwen schon mindestens drei Bier lang kennt, hast du eh verloren.

Eigentlich. Denn seit ich bei dir nach Wohnungen suche, bist du schrecklich geworden. Milde ausgedrückt. Du bist hart und ungerecht. Wahllos, lieblos und extrem voreingenommen. Du lässt mich seit Monaten stundenlang auf völlig irrelevanten Webseiten nach absolut überteuerten Unterkünften suchen, nur um mir im Endeffekt zu sagen, dass ich ja doch nicht genügend Einkommen, Bildung, Erbschaften oder – und genau deshalb sind sie so irrelevant – Connections (gegen die alles Geld der Welt nichts wert ist) habe.

Denn seien wir doch mal ehrlich: Wohnungen gibt’s nur mit den ersten drei Zutaten, WGs nur mit der Letzten. Denn wenn nicht irgendwer irgendwen schon mindestens drei Bier lang kennt, hast du eh verloren. 

Bullshit-Bingo ist ein Witz dagegen

Vetternwirtschaft, nennst du's. Ziemlich beschissen, nenn ich's. Dabei ist es nicht mal so, als hätte ich diese vermeintlichen Connections nicht. Ich kenne Menschen, sogar besser als drei Bier. Mindestens vier. Innig und ehrlich. Eigentlich so wie dich, nur intensiver. Das ist doch, warum ich bei dir bleiben will.

Nicht nur, weil du mich täglich irgendwo mit leisem Wasserplätschern im Hintergrund besäuselst, mir in Haidhausen ein bisschen Heimat- und am Hauptbahnhof ein bisschen Ganz-weit-weg-Gefühl gibst. Oder mir regelmäßig in grandiosen Gastronomien bunte Spaßgetränke einflößt, bevor ich von Kunst zu Kultur zu Konzertveranstaltung hüpfe, als könnte ich bei dir nicht länger als fünf Minuten still sitzen. Sondern auch, weil dabei immer Menschen neben mir stehen, die ich mindestens genauso sehr liebe, wie dich. 

© Brigitte Buck

Aber ganz ehrlich, seit vier Monaten nimmst du mir diese Liebe. Indem du mir jeden Morgen auf dem Rad aufs Neue vormachst, was für schöne Hausfassaden, Balkone, Hinterhöfe, Nebenstraßen und ach so wunderbaren Wohnraum du doch zu bieten hast. Und dann? Spuckst du mir, sobald ich abends vor dem Handy sitze, 900 Euro WG-Zimmer, graue Plattenbauten am Arsch der Heide (don’t excuse my french), Männer-fechtende Wohnheime und Abstellkammern zum Preis von Berliner Loftwohnungen aus. Wie lauwarmen Kaugummi auf kalten Beton. „Außen hui, innen pfui“, hat meine Oma immer gesagt und irgendwie trifft das ganz gut auf dich zu.

Mein kleines Träumchen von Altbau-WG, Fischgrätenparkett, Wiener Fenstern und Balkon zum Hinterhof hab ich schon lange aufgegeben. Tief vergraben mit der Hoffnung, nicht die Hälfte meines Einkommens für ein Dach über dem Kopf aus dem Fenster schmeißen zu müssen.

404: Bezahlbare Wohnung not found

Und das, obwohl es ja irgendwie machbar zu sein scheint. Denn ich stand schon in solchen Wohnungen: alte Mietverträge, großzügige Vermieter*innen, Genossenschaftswohnungen oder einfach große WGs, die Glück hatten. Es gibt sie, die Kronjuwelen auf dem Wohnungsmarkt – aber sie sind selten, sehr selten.

Deshalb liegt mein gesamtes Hab und Gut mittlerweile Tetris-artig aufeinander gestapelt in einem drei Quadratmeter großen Storage Room in Laim. Denn trotz jeder Menge WG-Castings, ellenlangen Selbstbeschreibungen und einer Hand voll richtig schöner Besuche, Telefonate und Kaffee-Dates, komm' ich an diese Schmuckstücke einfach nicht ran. Vollkommen egal, wie gut mein Bauchgefühl war. Am Ende wird sich dann doch für die Freundin, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hat, den Kumpel aus Rosenheim oder die Instagram-Bekanntschaft von einer Verwandten dritten Grades entschieden. Aber alle "wünschen mir weiterhin ganz viel Glück bei der Suche". Ganz ehrlich: Wohnungssuche ist wie Tindern, nur schlimmer.

Ganz ehrlich: Wohnungssuche ist wie Tindern, nur schlimmer.

Ich weiß, dass ich auf der Münchner Miet-Nahrungskette ziemlich weit unten stehe. Auch, dass es andere, die weder meine Hautfarbe noch meine Sprache teilen, um Welten schwerer haben und ich als Kreativ-Kamikaze mit laufendem Online-Studium einer der Gründe dafür bin, warum Münchner Mietpreise seit Jahren ungebremst durch die Decke schießen.

Und trotzdem München, obwohl du mir mit deiner Wohnungsnot an die Substanz gehst, lieb' ich dich weiter. Innig und ehrlich. Trotz deiner Fehler, deiner Ecken und deiner Kanten. Denn sobald du mir über der Isar orangerote Sonnenuntergänge auf dem Silbertablett servierst, mich am Wiener Platz mit Unmengen an Blätterteig versorgst und mein ganzes "Wahl-Münchnerin-Herz" in beiden Händen hältst, weiß ich: Ich will definitiv nirgendwo anders lieber sein, als hier.

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