11 Kunst-Kollektive, die zeigen, wie kreativ München ist

© queer:raum

Ein Video einer Waschmaschine auf einem Kirchenfenster, riesige Graffitis auf Gewächshäusern oder Ballons aus Satellitenfolie – die Münchner Kunst-Kollektive begeistern uns immer wieder mit unkonventionellen und kreativen Projekten. Zu gerne hätten wir dazu die Blicke der Künstler*innen der wohl bekanntesten Münchner Künstlergruppe gesehen – dem Blauen Reiter. Von Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin gegründet, kritisierte die Gruppe schon damals die Kunstszene als zu elitär und akademisch.

Bereits Kandinsky dachte über Kunst, wie viele der jungen Künstler*innen, mit denen wir gesprochen haben: "Man sollte sich aus der Form keine Gottheit machen. Nicht die Form, die Materie, ist das Wichtigste, sondern der Inhalt, der Geist." Auf nur eine Form und Materie legen sich die meisten unserer 11 Kunst-Kollektive nicht fest, genauso wenig auf die Art ihrer Vereinigung: Kollektiv, Duo, Bewegung, Ausstellungsreihe oder Vision nennen sich viele interessante Kunstvereinigungen in München. Wir haben uns die kreative Welt von 11 Münchner Kollektiven im Bereich der bildenden Kunst genauer angesehen.

1. Broke.Today – Wie Warhols Factory in München

© Nina Vogl

München ein bisschen geiler machen und etwas erschaffen wie die "Factory" des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol, will Fillin Guas. Gemeinsam mit Ferdi Schladitz hatte er 2020 die Idee zu Broke.Today – einem Kollektiv, das die Kunst statt die Künstler*innen in den Vordergrund stellt. Deshalb hat Broke.Today ihre neue Ausstellung "Mammon" auch gemeinsam, eben als Kollektiv, erschaffen. Wer welche Idee hatte, ist zweitrangig. Das einzigartige Spektakel "Mammon" vermischt Theaterstück, interaktive Kunstausstellung und Hausparty miteinander.

Die Ausstellung „Mammon“, die wir im Oktober 2022 für euch besucht haben, ist eine zeitgenössische Hommage an das Geld. Credits haben wir an den Kunstwerken nicht gesichtet, denn: "Die Zeit der großen Künstleregos ist vorbei. Es geht darum, was gemacht wird und nicht wer es macht", meint Fillin.

2. queer:raum – Mehr Sichtbarkeit der queeren Szene

© queer:raum

Für mehr Sichtbarkeit der queeren Szene in München will das Kollektiv queer:raum sorgen. Zum Beispiel mit interdisziplinären Ausstellungsprojekten, bei denen unterschiedliche Kunstformen zusammenkommen und neue Synergien entstehen. Außerdem möchten die über 20 Kunst- und Kreativschaffenden, die zur LGBTQIA+-Community gehören, mit ihren Projekten in München mehr safer spaces für queere und marginalisierte Menschen schaffen.

Zuletzt konntet ihr die Werke von queer:raum begleitet von Drag Queens beim Ander Art Festival auf dem Odeonsplatz bewundern – darunter auch einfühlsame Porträts der queer:raum-Künstler*innen.

3. RENA – Gemälde im Gewächshaus

© Rena

Wenn man mit Natalie vom RENA-Rojekt spricht, möchte man direkt mit seinen besten Freund*innen losziehen und große Leinwände bemalen – so inspirierend berichtet die Kulturwissenschaftlerin über ihr "Green House". Gemeinsam mit Elena und Rebecca entdeckte sie eine alte Gärtnerei in Markt Schwaben, deren kunstinteressierte Besitzer sie von RENA überzeugen konnten.

Seit Anfang 2022 malen die drei in den Gewächshäusern großformatige Acrylgemälde, organisieren Fotoshootings, veranstalten Workshops und bieten vor allem Platz für allerlei Kulturzwecke. So haben RENA im Mai 2022 bei einer Ausstellung in ihrem Green House 15 Künstler*innen aus München eine Bühne geboten. Und auch sonst freuen sich die drei über kreativen Besuch – so haben etwa die Künstler von Der blaue Vogel das Gewächshaus mit Street Art und Murals verziert. Zwischen all den Kunstschaffenden und Farbtuben entdeckt man im Green House auch mal ein paar unerwartete Früchte – erst im Sommer haben RENA dutzende Pfirsiche in ihrem unkonventionellen Atelier geerntet.

4. Die Villa – Emotionen in Kunst verarbeiten

© Robert Pupeter

Von Gemälden bis Poesie, von Skulpturen bis Schauspiel - die fünf Künstlerinnen des Kollektivs Die Villa legen sich auf keine Ästhetik und keine vorgefertigte Arbeitsweise fest. Viel mehr möchten sich die Frauen an den Themen, die jede einzelne Künstlerin mitbringt, orientieren wie zum Beispiel unterbewusst wirkender Phänomene wie emotionale Machtverhältnisse.

Diese haben sie auch bei ihrer zweiteiligen performativen Installation "Emotional Power" thematisiert: Aus der Pinakothek der Moderne haben die Künstlerinnen schwere Buchstaben aus Stahl aus dem Gebäude getragen und zu dem Wort emotional angeordnet und dann mit Hämmern bearbeitet, als Sinnbild für die Akzeptanz der eigenen Emotionen. Die Villa liebt es nicht nur durch ihre Kunst eine Transformation, als Gruppe zu erleben, sondern auch, mit ihren italienischen, englischen und österreichischen Wurzeln den gemeinsamen Lebensmittelpunkt im schönen München zu zelebrieren.

5. Der blaue Vogel – Mehr als nur Graffiti

© Der blaue Vogel
KULT, KÖBES, SANZ, PYSER und ZWIST – klingt nach exotischen Gewürzen, sind aber fünf Münchner Graffitikünstler. Zusammengeschlossen haben sie sich als Der Blaue Vogel. Die Künstlergruppe hat sich das Ziel gesetzt, die klassischen Beschränkungen des Graffiti-Genres hinter sich zu lassen. In ihren Bildern finden sich häufig Szenerien, ausgefeilte Hintergründe, Graffitischriftzüge, kräftige Farben und detailverliebte Ausschnitte wieder – oft mit politischer oder gesellschaftskritischer Botschaft.
In München sowie im ganzen Land hat Der Blaue Vogel bereits beeindruckende Ausstellungs- und Fassadenprojekte umgesetzt. Auch in vielen andern Ländern, darunter Slowenien, Kanada und Indonesien, hat das Kollektiv Wände verschönert. Die Künstler sind mit ihren Fassadenfarben und Sprühdosen gern gesehene Kollaborateure – etwa beim 50-jährigen Olympiajubiläum oder im Quiddezentrum des WSB Bayern.

6. Empfangshalle – Kunst aus dem öffentlichen Raum

© Empfangshalle

Wenn man drei Münchner*innen fragt, welche Erinnerungen sie an die Olympischen Spiele 1972 haben, bekommt man höchstwahrscheinlich drei sehr unterschiedliche Geschichten zu hören. Diese individuelle Wahrnehmung der geschichtlichen Ereignisse greift das Künstlerduo Empfangshalle in ihrem Projekt "wippen" auf. Zum 50. Jubiläum der Olympischen Spiele bauen die beiden eine Skulptur aus den alten hellgrünen Sitzen des Olympiastadions. Noch 2022 sollen die Wippen aufgestellt werden und euch zum Schaukeln und Austauschen einladen.

Corbinian Böhm und Michael Gruber, die beide an der Akademie der Künste und der TU München lehren, schöpfen seit vielen Jahren das Rohmaterial für ihre Werke aus dem öffentlichen Raum. So hat Empfangshalle 2017 zum Beispiel in und um die Kirche St. Paul liegengelassene Kleidungsstücke gesammelt, in einer Galerie eine Waschmaschine installiert und in dieser den Wäscheberg nach und nach gereinigt. In der Trommel verloren die einzelnen Kleidungsstücke ihre Geschichte. Diese Befreiung des sozialen Stigmas durch den Waschgang projizierte das Duo auf das große runde Fenster der Kirche.

7. ArtSchnitzel – Der Kunst auf der Spur

© Catherina Hess

Kunst ist oft teuer und meist an elitären Orten ausgestellt. Dabei kann Kunst Menschen unabhängig ihrer Bildung oder ihres Einkommens berühren. "Kunst für alle" möchte das Kollektiv ArtSchnitzel ermöglichen. Seit 2019 versuchen sie eine neue Zielgruppe mit der Frage zu konfrontieren, ob nicht alle Menschen, egal welcher Einkommensschicht, mit Kunst leben sollten. Wenn es nach dem Münchner Kollektiv geht, sollte die ganze Stadt als Ort mit Kunst bespielt werden.

Um diesem Ziel näherzukommen, machen ArtSchnitzel ihrem Namen alle Ehre: Jedes Jahr veranstalten sie u.a. ein Festival, bei dem sie etwa 100 Kunstwerke von etablierten, jungen und diversen Künstler*innen in der Stadt verstecken, die ihr finden, mitnehmen und behalten könnt. Langweilig wird die Schnitzeljagd nie, da das Kollektiv versucht wirklich hochwertige Kunstwerke zu verteilen und jedes Jahr etwas Neues dabei zu haben. 2023 wird ArtSchnitzel zum ersten Mal vor dem Festival die exklusiven und unverkäuflichen Kunstwerke vor der Verteilung ausstellen – damit macht die Jagd auf Kunst gleich noch mehr Vergnügen!

8. Die Städtischen – Potential der Räume

© Die Städtischen

Im Gespräch mit Münchner Kunst-Kollektiven fallen immer wieder die Worte "Zwischennutzung" und "ungenutzte Räume". Die Städtischen, eine interdisziplinäre Gruppe junger Menschen, hat ein besonders großes Herz für leerstehende Räume. Seit dem Frühjahr 2020 möchten die Städtischen durch Interventionen und unterschiedliche Projekte den öffentlichen Raum reaktivieren. Ihr Ziel ist es, Kultur zu fördern, auf Missstände aufmerksam zu machen und das Stadtbild nachhaltig mitzugestalten.

Bei dieser Gruppe von Münchner*innen ist jeder willkommen und wird motiviert, seine Ideen und Konzepte einzubringen. Die Ideen setzen die Städtischen dann kollektiv um. Zum Beispiel bei ihrem aktuellen Projekt "Metamorphose" – der Umgestaltung eines 160 Meter langen Tunnels am Ostbahnhof. Hier sollen verschiedene Künstler*innen die Möglichkeit bekommen, ihre Kunst auszustellen und diese im öffentlichen Raum zu verankern. Das Ziel der "Metamorphose" ist die kulturelle und künstlerische Aufwertung eines verwahrlosten Raums.

9. super+ – Ateliers zur Zwischennutzung

Flight of the Phoenix
© super+

Zwar nicht in München aufgewachsen (wie wahrscheinlich viele von uns), aber bestens in München hineingewachsen ist das Künstlerkollektiv super+. Es besteht aus dem Maler Christian Muscheid, dem Bildhauer Alexander Deubl und dem Designer Konstantin Landuris. Die drei Kreativen, die bereits seit zehn Jahren (!) ein Kollektiv bilden, ziehen nach acht ereignisreichen Jahren aus den Unholzer Ateliers in der Feldmochinger Straße aus. 2022 waren super+, laut eigenen Angaben, Münchens größte Atelierinitiative – allein 40 Ateliers im Kunstlabor und 80 Ateliers im Tropika boten super+ zur Zwischennutzung als Künstler*innen-Ateliers an.

Genauer hingeschaut haben wir bei einem gemeinsamen Kunstprojekt der Drei vor ein paar Jahren: Damals hat super+ der dynamischen Skulptur "Flug des Phoenix" Leben in Form einer Sauerstoff-Helium-Mischung eingehaucht. Letztendlich muss aber auch das Kunstwerk, genau wie der griechische Vogel, seinen Lebenszyklus beenden – nach fünf bis sechs Stunden landete der Ballon aus Satellitenfolie, unter anderen vor dem MUCA.

10. Munich Pop Art – Laut, schrill und bunt

© Nina Vogl

Handgedruckte Serigrafien, Collagen, Scherenschnitte, Stencils und Graffiti könnt ihr bei der jährlich stattfindenden Ausstellungsreihe Munich Pop Art bewundern. Hier stellen Münchner Künstler*innen aus dem Umfeld der Urban Art Arbeiten aus, die thematisch und technisch zur Pop-Art gehören. Seit 2016 organisiert Munich Pop Art in wechselnder Besetzung Ausstellungen, bei denen sie mittlerweile Ateliers verlassen und Farbe in den öffentlichen Raum bringen wollen – wie zum Beispiel sieben Litfaßsäulen in der Maxvorstadt oder die Open Window Art Schaufensterausstellung in der Münchner Innenstadt.

Aktuell könnt ihr die Werke von vier Pop-Art-Künstler*innen in den Galerieräumen des Kunstlabors 2 in der Dachauer Straße begutachten –Münchens größtes Zwischennutzungsprojekt. Die Kunstwerke wurden speziell für die Begebenheiten des Galerieraums konzipiert. Bestimmt seht ihr im November 2022 die knalligen Werbeplakate der Munich Pop Art – ein künstlerischer Blick auf die schrille Welt der Reklame. Bis zum 22. November 2022 gastiert die Munich Pop Art im Kunstlabor 2.

11. Oearth – Kunst der Gesichter

© Peet Djossou | oearth.studios
Bildende Kunst umfasst nicht nur Malerei, Skulpturen, Grafik und Handwerkskunst – auch die Fotografie zählt zu den visuell gestaltenden Künsten. Für die Kunst aus der Linse begeistert sich das oearth.studio. Unter demselben Konzept hießen sie zuvor coexist.collective. Oearth arbeiten mit den unterschiedlichsten Kreativen aus den verschiedensten Branchen zusammen.
Trotzdem versucht das Kollektiv, die gleiche Ästhetik beizubehalten. Ihre Ästhetik setzen sie in Foto und Videografie um und nutzen die Bilder als visuelle Inspiration für viele weitere Projekte. Kreative Gedankengänge werden bei Oearth auch durch spannende Gesichter vor der Kamera ausgelöst –  jede*r einzelne hat seine*ihre eigene Geschichte und übt mit Mimik und Gestik Kunst aus, sagt David Kossi von Oearth. Durch Weiterbildung und Workshops wollen Oearth Künstler*innen auf alles, was man für die Kreativszene braucht, vorbereiten und sich gegenseitig ohne Konkurrenzgedanken unterstützen.
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