Gleichberechtigung und Ehe: Kann ich dazu Ja sagen?

© Nathan Dumlao

"Ja ich will" und damit lebten sie glücklich ihr Leben, bis dass der Tod sie scheidet. In etwa so endet nicht nur jedes zweite Märchen. Nein, es ist auch der wichtigste Satz in einer Eheschließung und auch eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Möchte ich heiraten? Die traditionelle Eheschließung ist weiterhin im Trend – 2022 haben sich in Bayern rund 65.057 Paare das Ja-Wort gegeben. Doch will ich überhaupt zu einem veralteten Modell, das Liebe institutionalisiert, alternative Liebesmodelle ausschließt und die Unabhängigkeit der Frau bremst, Ja sagen?

Weißes Kleid, dreistöckige Torte und teure Location

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, mir niemals meine Hochzeit in einem weißen Kleid, in einer traumhaften Location und mit riesiger Torte vorgestellt zu haben. Und irgendwie tue ich das auch immer noch. Vielleicht muss die Torte nicht dreistöckig sein und ich nicht in einem super teuren Kleid stecken, aber die Liebe würde ich dennoch irgendwann mal feiern wollen. Nur nicht unbedingt im Konzept der Ehe. Mein Hauptproblem mit der Ehe ist nämlich ihre Geschichte und die Idee dahinter. Sie beruht seit Jahrhunderten auf Hierarchie.

Für Frauen war und ist es in Teilen der Welt auch heute noch essenziell, möglichst früh zu heiraten und unter die sogenannte Haube zu kommen. Schaut man sich die Rolle der Frauen in Ländern wie Somalia oder Uganda an, wird schnell deutlich, dass ein Leben ohne verheirateten Mann kaum möglich ist. Der Grund: Der Mann soll sie versorgen und ihr Leben finanzieren. Beziehungsweise das Leben der Familie – Kinder sind natürlich vorgeschrieben, dazu ist die Frau schließlich da. Dass diese klassische Rollenverteilung nicht nur für Frauen schwierig ist, sondern auch schwer auf den Schultern der Männer lasten kann, leuchtet aus heutiger Perspektive ein.

© Samantha Gades

Geht Ehe und Gleichberechtigung?

Natürlich sind Ehen in Europa heutzutage (hoffentlich) anders und zumindest emotional sind beide Partner*innen gleichgestellt. Doch aufgrund der Institionalisierung des Staates funktioniert die Gleichstellung nicht. Stichwort: Ehegattensplitting. Klingt kompliziert, ist es auch. Kurz heruntergebrochen geht es hier um die steuerlichen Vorteile, die die Person bekommt, die mehr verdient. Das Problem dahinter: In der aktuellen Welt ist das oft der Mann.

Frauen werden mit diesen steuerlichen Vorteilen öfter in eine Abhängigkeit gedrängt, manchmal so sehr, dass sich ihre Arbeit finanziell gar nicht mehr lohnt. Denn wirklich Steuern spart man nur, wenn eine*r deutlich mehr verdient als der*die andere. Dadurch kann im stereotypischen Bild einer Beziehung der Mann nicht mehr viel zu Hause sein, weil es finanziell nicht zu stemmen wäre. Feminismus, der für Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung kämpft, sieht meiner Meinung nach ein wenig anders aus. Natürlich sind das, siehe "Gender Pay Gap", nicht nur Problematiken der Ehe, sondern vor allem auf unsere Gesellschaft zurückzuführen. Trotzdem, in der Ehe werden Probleme wie Gender Pay Gap und Co. gefördert. Apropos Probleme: Was hier nicht zu vernachlässigen ist, ist die Rentengap. Schaut man sich die Zahlen an, wird deutlich, dass Frauen im Durchschnitt während ihres gesamten Erwerbslebens rund 45 Prozent weniger verdienen als Männer. Zu spüren bekommen sie das dann im Alter – die Rente fällt deutlich geringer aus. Bye Unabhängigkeit!

Ein starres Konzept

Verheiratete Paare genießen im Staat aber nicht nur geldliche Vorteile, meist vereinfacht sich durch eine Hochzeit auch die Bürokratie. Gerade wenn Kinder dazu kommen oder ein Teil der Beziehung aus dem Ausland kommt, ist es deutlich einfacher, wenn schon der Bund der Ehe geschlossen wurde. Auf den ganzen Papierkram hat nämlich niemand Lust. Heiratet man dann wirklich noch aus Liebe?

Doch nicht nur vom Staat werden verheiratete Paare ernster genommen, auch die Gesellschaft trägt dazu bei – ein Blick in die boomende Hochzeitslobby reicht da aus. Sobald ich kurz durch Instagram scrolle, ist die Gefahr groß, dass ich die eigenen Werte über Board werfe und doch schnell einen Termin beim Standesamt mache. Immerhin scheinen irgendwie alle zu heiraten. Stattdessen sollten wir aber hinterfragen, warum langjährige und feste Beziehungen nicht den gleichen Stellenwert wie eine Ehe haben.

© Sandy Millar

Eines der größten Probleme der Ehe ist aber die Starrheit, die innerhalb des ursprünglich kirchlichen Konstrukts herrscht. Denn Offenheit und Akzeptanz sind auch im Kleingedruckten nicht zu finden. Erst seit 2017 dürfen in Deutschland gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen werden und auch alternative Beziehungsformen wie Polyamorie finden bisher keine Beachtung. Dabei hat sich unsere Gesellschaft und das Verständnis von Liebe gewandelt. Mittlerweile trauen sich zum Glück viele ihre Beziehungsform frei auszuleben – sich vor dem Staat einander zu versprechen, ist mit der aktuellen Form der Ehe aber nicht möglich, zumindest wenn man in einer polyamoren Beziehung lebt.

Ein Ja zur Liebe

Ich möchte in keinster Weise Menschen verurteilen, die sich für die "klassische" Ehe entscheiden und sich das Ja-Wort geben. Aber wir brauchen eine Veränderung des Konstrukts Liebe vor dem Staat. Wenn man bedenkt, dass erst seit 1997 Vergewaltigung in der Ehe als Straftat anerkannt wird, läuft es mir mehr als kalt den Rücken herunter.

Die ersten Ideen zu anderen "staatlichen" Beziehungsformen liegen immerhin schon vor. Die Bundesregierung möchte das Familienrecht modernisieren und zum Beispiel eine Verantwortungsgemeinschaft einführen. Jenseits der Ehe soll also ein Beziehungsmodell entwickelt werden, dass es zwei oder auch mehreren Menschen ermöglicht, Verantwortung füreinander zu übernehmen. So sollen Beziehungen unbürokratisch rechtlich abgesichert werden können.

Ich möchte Ja sagen, weil ich jemanden liebe, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Sorry, so romantisch bin ich doch.

Ich möchte irgendwann aus Liebe "Ja" sagen. Ich möchte mich dabei nicht für die Ehe entscheiden, weil sie geldliche Vorteile bringt oder die Bürokratie erleichtert. Ich möchte Ja sagen, weil ich jemanden liebe, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Sorry, so romantisch bin ich doch. Und ja, sogar vor dem Staat. In meinen heutigen Hochzeitsträumen habe ich kein weißes Kleid mehr im Kopf, sondern eine gleichberechtigte Beziehungsform, die offen für alle Menschen ist. Und die vor allem Ja zur Liebe sagt.

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