Von Neukölln nach Untergiesing: München, du Rebell!

© Anna Rupprecht

Spätestens, als unsere Autorin Johanna aus Neukölln mit dem Transporter in die neue Straße in Giesing einbiegt, ist ihr klar: Das hier wird anders. In ihrer Kolumne "Von Neukölln nach Untergiesing" schreibt sie nun jede Woche auf, wie sie München kennenlernt und welche Unterschiede ihr besonders auffallen. Was sie liebt (den V-Markt!), was sie hasst (kein günstiges Schawarma hier!) und warum München manchmal doch gar nicht so anders ist als Berlin.

Die Reaktionen waren recht fassungslos, als ich meinen Freunden vor knapp einem Jahr verkündete, dass ich nach München ziehen würde. „Du? In München? Hä?“. Ich sehe es ja ein: Von außen und ganz oberflächlich betrachtet macht es überhaupt keinen Sinn, dass ich nach München gezogen bin – nicht nur wegen meiner Liebe zu so vielen Dingen, für die München ganz und gar nicht bekannt ist (Chaos, billiges Bier, lange Öffnungszeiten, Schawarma), sondern auch wegen meinen politischen Überzeugungen. Ich – eingekesselt von der CSU? Ehrlich gesagt war ich selbst sehr gespannt, wie ich und mein Blutdruck auf Bayern und seine Wahlberechtigten reagieren würden.

Kaum war ich nach München gezogen, tat sich politisch plötzlich einiges in der bayerischen Hauptstadt.

Aber dann kam alles ein bisschen anders – und das war meine schönste Überraschung dieses Jahr. Denn kaum war ich nach München gezogen, tat sich politisch plötzlich einiges in der bayerischen Hauptstadt. Ein gewisser, neugewählter Ministerpräsident Markus Söder betrieb im Frühjahr einen energischen Rechtsrutsch-Wahlkampf, Seehofer seehoferte noch ein bisschen gruseliger vor sich hin als sonst – aber München ließ das alles nicht so einfach mit sich machen.

Die Demo gegen das Polizeiaufgabengesetz im Mai war die schönste Demo, auf der ich jemals war – und ich habe schon ein paar hinter mir. Ich wusste vorher gar nicht, dass Demos überhaupt so schön sein können. Eigentlich sind sie ja nicht unbedingt dafür gemacht, schön zu sein. Aber der 10. Mai 2018 hat mir ein Stückchen Glauben an die Menschheit und an Bayern zurück gegeben.

Das war keine Demo, das war keine Party, das war ein Volksfest des gesunden Menschenverstandes – a Draum!

Die Menschenmassen, denen ich da mit offenem Mund dabei zugesehen habe, wie sie sich so friedlich wie nur irgend möglich über den Marienplatz schieben, waren unglaublich divers: Eine Nonne neben einem Punk mit drei-Meter-Iro, eine Oma mit kleinem Hund im Fahrradkorb hält ihren Enkel an der Hand, der sein eigenes „Nein!“-Schild gemalt hatte, Lederhosenträger stoßen mit Drag-Queens an.

Skater-Kids, Alt-68er-Demo-Veteranen, Technohipster und Haidhausen-Muttis mit ihren High-End-Kinderwägen – einfach alle waren da. Alle 30.000, genau genommen. Das war keine Demo, das war keine Party, das war ein Volksfest des gesunden Menschenverstandes – a Draum!

Wenn ich nach Berlin komme, erzähle ich mit leuchtenden Augen von meiner Lieblingsüberraschung dieses Jahr: München kann Protest! Und zwar ganz schön gut.

Mir scheint es, als hätte dieser Tag München verändert. Denn seitdem haben Demos in der Landeshauptstadt einen ganz anderen Ruf und einen ganz anderen Vibe – es fühlt sich an, als würde man tatsächlich mal längst fällige Zeichen setzen – und das mitten im CSU-Land Bayern. Demonstrieren ist das Münchner Must-Do 2018. Und München ist echt gut darin – das wissen wir sicher seit letztem Sonntag, als wieder mindestens 20.000, eventuell sogar 50.000 Menschen die #ausgehetzt-Demo besucht haben. Und das bei strömendem Regen! Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen! Eine klarere Absage an den weltweiten Rechtsruck und eine Politik der Angst hat bisher keine andere deutsche Stadt senden können.

Mein links-grün-versifftes Herz schlägt laut für diese neue Münchner Demo-Kultur. Und wenn ich nach Berlin komme, erzähle ich mit leuchtenden Augen von meiner Lieblingsüberraschung dieses Jahr: München kann Protest! Und zwar ganz schön gut.

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