Okay ich geb's zu, ich mag das Fack Ju Göhte Musical
Eigentlich sollte die Überschrift dieses Textes heißen: "Okay ich geb's zu, ich war im Fack Ju Göhte Musical". Das ist in meinem Fall nämlich schon Geständnis genug und lässt meine Street Credibility tiefer sinken als die Tatsache, dass ich gerne mal eine Segway-Tour machen würde. Dass ich aber eben wirklich nicht bloß in der Vorstellung war, sondern mit einem freudig-verklärten Grinsen und einem unauslöschbaren Ohrwurm den Saal verlassen habe, macht die Sache etwas komplizierter. Irgendwie wäre ich jetzt gerne Musical-Darsteller.
Dabei mag ich gar keine Musicals. Ich kann schon Filme nicht ertragen, in denen zu viel gesungen wird. Da konnte mich nicht einmal Ryan Gosling mit seinem Gedudel ins Kino locken. Und wer mich noch weniger in irgendwelche Kinos locken kann, ist Elyas M'Barek. Sieben Millionen andere deutsche Kinobesucher vielleicht, aber mich nicht! Ha! Sorry, aber allein der Titel "Fack Ju Göhte" triggert meinen Fluchtinstinkt und meine Finger weigern sich beim Tippen Teil dieser Sprachverschandelung zu werden.
Um mich herum erwartungsvolle Gesichter, aufgeregtes Gemurmel und die hundertprozentige Sicherheit, dass ich hier niemanden treffen werde, den ich kenne.
Beste Voraussetzungen also um eines Donnerstagabends doch in der zweiten Reihe im Werk 7 hinterm Ostbahnhof zu sitzen. Um die ganze Sache etwas erträglicher zu machen – ich schäume nämlich über vor Vorurteilen – hat das ein oder andere Bier schon seinen Weg in meinen Blutkreislauf gefunden. Um mich herum erwartungsvolle Gesichter, aufgeregtes Gemurmel und die hundertprozentige Sicherheit, dass ich hier niemanden treffen werde, den ich kenne und wirklich jeder im Publikum vom guten S-Bahn-Anschluss profitiert.
Die Bühne ist einer Turnhalle nachempfunden und nachdem ich mir im Vorhinein den Trailer angeschaut habe, weiß ich, warum es eine offizielle Warnung für Epileptiker gibt. Meine Erwartungen sind also nicht nur niedrig, sondern gehen ins Negative. Doch in den nächsten knapp drei Stunden passiert etwas mit mir, mit dem niemand gerechnet hätte. Ich amüsiere mich. Ziemlich gut sogar und merke nicht, dass da gerade 180 Minuten verflogen sind. Mit jedem Lacher erschrecke ich gleichzeitig vor mir selbst und schaue mich um, ob nicht vielleicht doch jemand hier sein könnte, der mich kennt.
Ich nehme ihnen ihre Rollen als Jugendliche aus prekären Verhältnissen tatsächlich ab, auch wenn sie vermutlich klassische Vorort-Kinder sind, bei denen Mama Zeit hatte, sie zum Musical- Unterricht zu fahren.
Meine Abwehrhaltung gegen den singenden Klamauk löst sich mit jeder Trommel, mit jeder Note und die immer wiederkehrende Beat- und Bassexplosion mit dem Titel "Schule ist Amok" sorgt schließlich dafür, dass ich mich wirklich auf das Musical einlasse und fast schon euphorisch werde. Die jungen Darsteller haben anscheinend richtig Bock drauf, acht Mal die Woche auf der Bühne zu stehen und ihr Programm zu fahren. Ich nehme ihnen ihre Rollen als Jugendliche aus prekären Verhältnissen tatsächlich ab, auch wenn sie vermutlich klassische Vorort-Kinder sind, bei denen Mama Zeit hatte, sie zum Musical-Unterricht zu fahren.
Natürlich ist alles überzeichnet und bei den schnulzigen Liebes-Popsongs darf ich dann wieder in meine Abneigung verfallen und die obligatorischen Max-Giesinger-Vergleiche ziehen. Außerdem darf ich entsetzt schauen, wenn ich fast als Einzige über "Faust von Schiller" lache und über das Team vom Kostümbild schimpfen, das es sich mit der Großbestellung Collegejacken für die Schüler der 10b dann doch ein bisschen sehr einfach gemacht hat.
Aber ich darf eben auch über plumpe Witze lachen, über starke Stimmen staunen und tatsächlich an einer gefühlvollen Stelle Gänsehaut kriegen.
Aber ich darf eben auch über plumpe Witze lachen, über starke Stimmen staunen und tatsächlich an einer gefühlvollen Stelle Gänsehaut kriegen, auch wenn ich mich innerlich immer wieder wehre. Zur Rechtfertigung rufe ich mir zum Beispiel ins Gedächtnis, dass ich das Privileg einer kostenlosen Pressekarte genieße und nicht gut 80 Euro für die zweite Reihe ausgegeben habe. Das werde ich auch später in Erzählungen immer wieder betonen, um meine Begeisterung zu relativieren. Immerhin steht ja meine Street Credibility auf dem Spiel.
Nur ganz ehrlich: Die habe ich ohnehin bereits am Eingang abgegeben. Spätestens in der Pause folgt dann der Hochmut und ich bin wirklich froh darüber, denn dieses Musical ist ganz einfach gute und ehrliche Unterhaltung. Ich klatsche mir also die Hände wund, summe Melodien vor mich hin und scheiße ganz gewaltig darauf, ob das jemand mitbekommt oder nicht, denn: Okay, ich geb's zu, ich finde das Fack Ju Göhte Musical echt richtig gut!