Theater in allen Formen und Farben: Das Radikal jung Festival
Sie sind jung, meist radikal und haben Bock auf Theater – Theatermacher*innen aus Deutschland und Europa, die jedes Jahr aufs Neue von einer Jury ausgewählt und mit ihren Regiearbeiten ins Münchner Volkstheater eingeladen werden. 13 Regiearbeiten sind es in diesem Jahr aus Antwerpen, Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Hamburg, Magdeburg, Mannheim, Innsbruck, Wien und Weimar, die von 27. April bis 05. Mai über die Bühnen gehen.
Das Radikal jung Festival 2023 bietet Stoff, aus dem junge Theaterträume sind. Mit Inszenierungen, die unsere Gesellschaft zeigen, an einem rütteln und den altbekannten Spiegel vorhalten. Nur in radikal. Wir haben einen Blick ins Programm geworfen:
Ein bildstarker Generationenkonflikt
Gleich zu beginn wagt sich Regisseurin Rieke Süßkow an den österreichischen Literaturnobelpreisträger Peter Handke heran, der sein neues Werk "Zwiegespräch" niederschrieb. Das gleichnamige Stück gerade bringt sie gerade auf die Bühne des Wiener Burgtheater – und das wahrscheinlich bunter als es der Ursprungstext vermag. Peter Handke sinniert übers Theater, das Altern und Sterben. Er stellt Fragen nach Schuld der Großväter in den Kriegen und was davon im Gedächtnis der Welt bleibt. Die Regisseurin liest die Emotionen zwischen den Zeilen heraus, die sie interpretiert und für die Bühne als bildstarken Generationenkonflikt inszeniert. Die alten weißen Männer haben den Jungen nichts mehr zu sagen haben. Ob das so eine gute Idee ist?
Fragen wie diese können die Besucher*innen im Anschluss an das jeweilige Stück stellen. So ist immer ein Slot für den Talk geplant – ein Nachgespräch mit den Regisseur*innen, die das Publikum in ein Zelt im Innenhof des Theaters einladen.
Ausdrucksstark, aber nicht jugendfrei
Zu jung sollte das Publikum hier nicht sein, wenn es sich am ersten oder zweiten Spieltag bei "Radical Hope - Eye To Eye" einfindet. Das Münchner Volkstheater rät auf seiner Website zu einem Besuch ab 18 Jahren, wenn die in Antwerpen lebende non-binäre Künstler*in Stef van Looveren das Menschsein mit nackter Haut, lauter Musik und unter Einsatz von Stroboskoplicht inszeniert. In der Live-Performance werden die unterschiedlichen Stadien der Gesellschaft und des Lebens porträtiert – ausdrucksstark als Trauer und Wut, aber auch als Sehnsucht, Glück und Terror. Die bestehende Ordnung soll herausgefordert werden und zwar mit einer gewaltigen Gefühlsexplosion!
Andere Leben, andere Träume
Autorin Fatma Aydemir springt in ihrem Gesellschaftsroman "Dschinns" ein paar Jahre zurück und erzählt eine Familiengeschichte aus dem Deutschland der 1990er Jahre. Sie beschreibt das politische Klima und die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern. Die Geschichte ist allerdings eine traurige und wird von Regisseurin Selen Kara am Nationaltheater Mannheim inszeniert: Hüseyin möchte sich seinen Traum von einer Eigentumswohnung in Istanbul erfüllen. Dafür arbeitet er 30 Jahre hart in Deutschland, während Sehnsucht und Einsamkeit seine ständigen Begleiter sind. Doch kurz davor stirbt Hüseyin. Nacheinander reist die Familie zur Beerdigung an und jedes Mitglied fühlt in Hüseyins Wohnung etwas anderes.
Unterschiedlicher könnten die Stoffe der Regisseur*innen kaum sein. Live- und Video-Performances, moderne Inszenierungen und genügend Zeit für Gespräche. Ausgewählt wurden die Talente, die sich in den Augen der Jury mit ihren Arbeiten in der deutschen und europäischen Theaterlandschaft hervorgetan haben. Die Kurator*innen Jens Hillje, Christine Wahl, C. Bernd Sucher und Florian Fischer sichteten ein Jahr lang die Stücke und stellten das Festivalprogramm zusammen.
Dazu gehört auch "Mission: Escape Poverty". Wie in einem Escape Room haben die Teilnehmer*innen 60 Minuten Zeit, einem beengten Zuhause zu entkommen. Hier geht es nicht nur darum, Rätsel zu lösen, sondern das Thema Kinderarmut anzugehen. Außerdem strippt die Gruppe Magic Dyke* im Kneipenclub Substanz. Sie zeigen alles, was männlich ist und stellen FLINTA* (Frauen, Lesben, Intersex, nicht-binäre, trans, agender) Menschen in den Vordergrund.
Österreichische Satire über den Wintersportwahnsinn
Mit dabei ist auch die "Gondelgeschichten", woher sonst wenn nicht aus Österreich, wo die Skiliftbetreiber*innen ihre eigene Lobby haben. Das Institut für Medien, Politik und Theater hat sich dem angenommen und arbeitete in einem Rechercheprojekt die Tiroler Ski- und Bergwelt auf. Nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie einflussreich der Wintertourismus und die Männer dahinter sind. Der Preis für die von der Seilbahnwirtschaft beeinflusste Politik, haufenweise Kunstschnee und infektiöse Après-Ski-Partys? Na eh hoch. Der österreichische Regisseur Felix Hafner lässt darüber einen Bürger*innenrat auf dem Tiroler Landestheater Innsbruck aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren. Dazu kommen Originalzitate aus der Politik und heraus kommt eine Mischung aus Realität und Satire.
Das Festival zeigt quer durch die Theaterbänke, was junge Kreative sich einfallen lassen. Dazu gehört auch der Klassiker "Woyzek", der jedes Germanist*innen-Herz höher schlagen lässt. Regisseur Jan Friedrich vom Theater Magdeburg beendet damit das Programm und gibt weiter an das anschließende Closing im hauseigenen Restaurant Schmock.
Zum Schluss wird noch der Publikumspreis im Zelt im Innenhof verliehen. Wer die glücklichen Gewinner*innen sein werden, müsst ihr dann aber selbst herausfinden, indem ihr abstimmt. Wir freuen uns auf ein vergnügt radikales und junges Festival!