For the culture #3: Rosa Kammermeier illustriert ihr München
München ist viel mehr als Oktoberfest und FC Bayern, das wissen wir alle. Weniger offensichtlich ist die feine Subkultur, die sich durch unsere Stadt zieht. Wo skatet diese Frau hin, wo sprayt dieser Typ, welche Band formt sich gerade in dieser Zwischennutzung? Am Ende steht meist ein neues Video, ein neues Piece oder ein neuer Song, aber wie kommt es dazu – und wer sind die Menschen, die uns die Kultur schenken? Unser neues Format "for the culture" will Münchner*innen eine Bühne geben, die sonst eher im Hintergrund arbeiten. Kreativ, außergewöhnlich, wichtig! Chris Bradl porträtiert: Rosa Kammermeier.
Wann hat sich jemals jemand über eine Facebook-Werbung gefreut? Wann hat sie jemals etwas gebracht? Wahrscheinlich hat sich nicht mal Rosa Kammermeier gefreut, als ihr im Januar 2017 das "soziale Netzwerk" einen wirklich sozialen Dienst erwiesen hat. In der Timeline der jungen Grafikdesignerin fand sich folgender Aufruf: "Bewirb dich jetzt für die Adobe Creative Residency!" Warum eigentlich nicht, dachte sich Rosa damals.
Die klassische Frage der Kreativen: Ist das überhaupt das Richtige?
Vielleicht, weil sich jedes Jahr hunderte Designer*innen auf dieses Stipendium bewerben und es nur noch wenige Tage bis zur Deadline waren? Trotzdem konzipiert Rosa innerhalb kürzester Zeit ihren "Walk of Happiness", ein Projekt, bei dem sie ungenutzte Ladenfronten mit ihrem Lettering neu gestaltet und somit einen Spaziergang zwischen Kunst und Kennenlernen entwirft. Fand Adobe wohl ganz gut, denn unzählige Bewerbungsrunden später war die junge Designerin offiziell eine von sechs Adobe Residents.
Noch kurz vorher sah es allerdings ganz anders aus. Das Jahr 2016 war mit einigen Selbstzweifeln zu Ende gegangen. Die damals 25-Jährige sah sich mit der klassischen Frage der Kreativbranche konfrontiert: Ist das überhaupt das Richtige, bin ich überhaupt gut genug? Und daraus erfolgend natürlich die Entscheidung, ob man so weitermacht oder nicht? Ihr war schon klar, sie wollte weiterhin grafisch gestalten, aber vielleicht nicht unbedingt als Selbstständige. Also doch wieder in ein Anstellungsverhältnis zwängen?
Bei ihrem Großvater hatte sie es ja gesehen. Als freier Landschaftsmaler ließ sich ein Leben nicht so ganz leicht finanzieren. Künstlerisch ein Vorbild, das sie und ihre Brüder früh sehr gefördert hat, wollte Rosa beruflich doch einen anderen Weg einschlagen. "Ich dachte mir schon mit 12, 13 sowas, dass ich eher zum Grafikdesign will, da hat man doch mehr Möglichkeiten." Gedacht, gesagt, getan. Bis 2014 studiert die gebürtige Kelheimerin an der FH Augsburg Kommunikationsdesign. Anschließend geht es erst zum Praktikum in die bayerische Hauptstadt, für den ersten Job zurück nach Augsburg und schließlich doch für die Festanstellung im Designbüro nach München.
Das Wichtigste war für mich das Feedback. 'Was du machst, ist schön!' Das hat mir die Motivation gegeben, weiterzumachen.
Diese Firma gibt es nur wenige Monate später nicht mehr und Rosa Kammermeier ist plötzlich in München und weiß nicht, wohin mit sich. Auf ihre Bewerbungen bekommt sie häufig das Feedback, ihr Stil wäre schon zu speziell. "Das hat mich schon frustriert. Ich war unzufrieden und fand es eigentlich zwei Jahre nach dem Studium zu früh, schon in die Selbstständigkeit zu gehen." Zeitgleich sitzt sie in einem Büro in Untergiesing, in dem auch andere Selbstständige wie Florian Fischer, Conny Sommer oder Ola Klöckner arbeiten. Die helfen ihr beim Start, vermitteln Projekte und plötzlich läuft es. Ihre Ausstattung und eine Wohnung in München wollen natürlich finanziert sein, aber anfangs sieht es richtig gut aus.
Dann werden die Projekte weniger. "Ich hab mich ständig gefragt: War das wirklich der richtige Schritt, soll ich mir wieder eine Festanstellung suchen?" Gerade als sich leichte Panik breitmacht, kommt die Adobe Residency. Auf einmal hat Rosa Kammermeier mehr als genug zu tun. Zwischen wöchentlichen Berichten und internationalen Projekten in San Francisco und New York bleibt keine Zeit für Zweifel. Und überhaupt, plötzlich bekommt sie von allen Seiten großen Zuspruch. Klar, sie lernt wahnsinnig viel, trifft unzählige spannende Menschen, kommt viel rum, "aber das Wichtigste an der Residency war für mich das Feedback. 'Was du machst, ist schön!' Das hat mir die Motivation gegeben, weiterzumachen."
Mit diesem Glauben an die eigenen Fähigkeiten und ihrer gesteigerten Bekanntheit, läuft es auch in München wieder. Die Zeit nach der Adobe Residency ist für Rosa wie ein zweiter Startschuss. War sie davor – weil das rational gesehen eine Marktlücke in München sein könnte – fast ausschließlich auf Lettering und Typografie fokussiert, merkt sie jetzt, dass ihr eigentlich auch Illustration wahnsinnig viel Spaß macht. Ein ganz neues Feld öffnet sich. Soweit, dass sie 2020 zur Coronahochphase beginnt, eigene Poster und Plakate zu drucken und sie einfach mal in ihrem Online-Shop anzubieten. "Ich dachte mir eigentlich, das wird niemand groß interessieren. Aber das Feedback war überwältigend, das hat richtig Spaß gemacht."
Vielleicht ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt, nach Berlin zu gehen. Man sollte die Komfortzone verlassen, wenn es am schönsten ist.
Inzwischen sieht man Prints, Letterings und Illustrationen von Rosa Kammermeier in der ganzen Stadt. Egal, ob das vor dem Cucurucu oder in der Goldenen Bar ist, Rosa illustriert sich ihr München. In diesen Läden trifft man sie aber auch privat. "Das Cucurucu, die Goldene Bar oder das Import Export sind für mich Orte, an denen viele Fäden zusammenlaufen. Privat, mit meinen Freund*innen, aber auch musikalisch."
Als wäre sie als Designerin nämlich nicht schon kreativ genug, ist sie seit Jahren auch als Musikerin und DJ in den verschiedensten Formationen in München unterwegs. Seit 2020 produziert sie als "Rosa Red" auch eigene Musik, 2022 will sie definitiv neues Sachen rausbringen. Sowohl musikalisch als auch gestalterisch, Rosa Kammermeier will nicht stehen bleiben. Vielleicht verlässt sie München auch bald. "Vielleicht ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt, nach Berlin zu gehen. Man sollte die Komfortzone verlassen, wenn es am schönsten ist. Und ich werde München ja niemals final zurücklassen." Ihre Illustrationen werden unsere Stadt auf jeden Fall weiterhin schöner gestalten.
Idee & Umsetzung: Chris Bradl
Artwork: Clara Knör
Fotos: Daniel Nguyen