Das gemütliche Herz der Stadt: Eine Ode an den Viktualienmarkt

© Dominik Schelzke

Eine meiner ersten – weil sehr prägenden – Kindheitserinnerungen spielt auf dem Viktualienmarkt. Ich hatte schon im Kindergartenalter einen verantwortungsvollen Job. Ich musste mit meiner kleinen, roten Delfin-Wasserpistole den Tauben auf dem Markt hinterherjagen. Wirklich erwischt habe ich sie eher selten, aber allein das Heranstürmen führte meist schon zu großem Spektakel. Einer dieser armen Vögel war damals wohl so aufgeregt, dass er seinen Schließmuskel nicht mehr im Griff hatte. Sehr zum Verdruss eines mittelalten Herrn im plötzlich nicht mehr ganz adretten Anzug – und meiner Oma, der der Lausbub schon wieder entwischt war. So geschehen irgendwann in den Neunzigern vor dem Geflügelparadies Stephani am Viktualienmarkt.

Zwanzig Jahre später sieht ein Besuch auf dem Markt, der seit 1807 abgehalten wird, deutlich weniger aufregend aus. Und viel schöner. War ich früher einfach nur der kleine Bengel, der trotz pappiger Hand nicht immer an seiner Oma klebte, darf ich heute den ganzen Spielplatz auskosten. Als Kind war ich nur das "+1" für den Samstagseinkauf, als Student konnte ich mir den Viktualienmarkt nicht wirklich leisten, aber jetzt flaniere ich darüber und genieße das nicht enden wollende Angebot an Regionalität und Frische. Es ist ein Privileg.

Gemütlichkeit, Frische, Wärme

Noch mehr: Der Viktualienmarkt ist ein Lebensgefühl. Vorsicht, Kitsch: Hier sind die Menschen besser drauf, hier schmeckt die Luft voller, hier scheint öfter die Sonne, hier verstreicht die Zeit langsamer, hier fühle ich mich vielleicht sogar manchmal wie der Pate beim Orangenkauf in New York. Nur ohne anschließend angeschossen zu werden.

© Dominik Schelzke
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Los ging dieses Gefühl mit Caspar Plautz. Bis die Kartoffelboys ihren Stand – und mir damit die Tore des Viktualienmarkts – eröffnet haben, war für mich der Platz zwischen Blumenstraße und Marienplatz älteren Menschen und Tourist*innen vorbehalten. Wahrscheinlich war dem nicht so, vielleicht auch schon, mit der Knolle brach jedenfalls eine neue Zeitrechnung an. Eine Ära des "einfach mal Vorbeischauens".

Siehe da: Auf dem Viktualienmarkt gibt es doch tatsächlich richtig leckeres Essen.

Von der gelben Gondel aus durfte und konnte Neuland entdeckt werden. Immer kann man ja auch keine Kartoffel essen. Also mussten Alternativen her, und siehe da: Auf dem Viktualienmarkt gibt es doch tatsächlich richtig leckeres Essen. Manche von uns haben einfach längere Leitungen. Dafür sind die Wege zwischen den Buden umso kürzer. So eine Ochsenfetzn-Semmel mit Röstzwiebeln von der Ochsenbraterei ist gefährlich schnell schnabuliert, weil frech lecker. Auch das Schawarma bei Sababa lässt wenig Wünsche offen.

Klar, dass so viele Köstlichkeiten in München mit Sicherheit einen Mann auf die Karte rufen. AufdieFaust weiß um die besten Street-Food-Spots in der ganzen Stadt, warum sollte er sich mit dem Markt schlechter auskennen? Durch ihn durfte ich im zweiten Teil meiner Viktualienmarkt-Liason Marina kennen lernen. Marina und ihr Team machen den Feinkoststand gegenüber vom Kustermann. Hier gibt es nicht nur alles, was sich das deutsche Herz unter "Dolce Vita" vorstellt (ich empfehle vor allem den San-Daniele-Schinken und die Taggiasca-Oliven), sondern auch ganz vorzügliche Sandwiches. Beim Haussandwich von AufdieFaust war ich zufällig einer der ersten Vorkoster*innen und habe seitdem eine spezielle Liebe zu der Kombination aus Gorgonzola, Walnüssen, Birne, Rosmarinschinken, Rucola und Feigensenf aufgebaut.

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© Daniel Sommer
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Ich weiß ja nicht, ob man bei Feinkost und den Münchner Mieten davon sprechen kann, dass sich die Jungen die Altstadt ein wenig zurückerobern, aber zumindest auf und am Viktualienmarkt wirkt es in den letzten Jahren ein bisschen so. Richtung Tal gibts das Sweetspot Café und versorgt uns mit bestem Kaffee. In der Passage zum Rindermarkt sind das Radio 80000 und der Riviera Plattenladen zu Hause.

Am Ende ist immer noch Platz für was Süßes

Hätte sich davor auch niemand träumen lassen, was im Stadtmuseum mal für grandiose Musik laufen würde. Es hat sich hier eine Achse des Abhängens gebildet, die natürlich niemals vollständig wäre, ohne den zuckersüßesten Stand des ganzen Markts zu nennen. Bei Lea Zapf’s Marktpatisserie gibt es nicht nur raffiniertes Gebäck, es gibt hier pure Glücksgefühle. Und damit meine ich nicht den Zucker, der macht das ja bekanntlich auch. Nein, ich meine Lea, ihr Team, ihre unendliche Herzlichkeit, ihre Playlists, ihre Eistees, ihren Kaffee – und natürlich auch ihre Patisserie, die zum Niederknien ist.

Abschließend vielleicht das Schönste am Viktualienmarkt: Auch nach unzähligen Besuchen bleibt immer noch so viel zu entdecken. Für jede*n von uns. Egal, ob das der Blumen Rainer oder der Gemüsestand von Resi ist. Einzig die Nordsee braucht es eigentlich nicht und anstatt des Nymphenburg Sekts könnt ihr auch einfach zum Schlegel schauen, da liegen immer ein paar leckere und preiswerte Flaschen Wein im Kühlschrank. Wenn es mal wieder länger wird am Markt.

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